Neue Schule, neue Lehrer, neue Herausforderungen
Es war Ende August 1969, Woodstock und der alljährliche Besuch in der DDR vorbei, im September sollte die Schule wieder beginnen, aber wir hatten Bescheid bekommen, dass für uns die grossen Ferien noch etwas länger dauern würden, weil das neue Gebäude noch nicht fertig war. Erst am 18. September sollte es für uns weiter gehen. Das waren noch fast 3 Wochen Ferien im September, die wir als Jugendliche natürlich intensiv nutzten, auch um unseren neuen Schulweg zu erkunden. Waren doch z.B. Karl-Heinz, ich und Lutz (Knakrügge) immer nur zu Fuss in die Schule gegangen. Der Weg in den Mannheimer Süden war aber weit und nur mit Fahrrad oder Bus/Bahn zu bewältigen. Die Gegend zwischen Lindenhof und Almenhof, hinter dem Diakonissen-Krankenhaus, wo das neue Gebäude stand, kannte ich ein bisschen durch die Besuche bei Rosel Voitel, der Freundin meiner Mutter. Entsprechend wusste ich auch, dass man dorthin mit dem Bus der Linie 71 fuhr. Dass auch der 75er zielführend war, hat sich dann bald auch herausgestellt. Es führen ja oft viele Wege nach Rom; in diesem Fall z.B. auch mit dem Fahrrad. Das war, zumal es ja noch Spätsommer war, auch unser erstes Ziel. Deshalb haben wir an einem Morgen vor Schulbeginn eine Fahrradtour dorthin gemacht. Karl-Heinz und ich, seine Freundin Anette war auch dabei, vielleicht sogar Lutz, das weiss ich nicht mehr so genau. Über die Kurpfalzbrücke, durch die Innenstadt, am Schloss vorbei und am Rhein entlang, an der Speyerer Str. hoch und schliesslich in die Bellchen-Str. rein und über den Fussgängerweg von dort zum neuen Schulgebäude (Bildmitte im Luftbild von damals). Heute steht am Ost- bzw. Haupteingang dieses Schild, aber das gab es damals noch nicht. Dafür war das Ganze noch zu sehr Baustelle, aber das fiel uns bei unserem ersten Besuch noch gar nicht so sehr auf. Dafür umso mehr ein freundlicher Mann, der uns ganz herzlich begrüsste und uns den Fahrradkeller zeigte. Er stellte sich als Hr. Alt vor und er sei der neue Hausmeister. Welch ein Kontrastprogramm zu dem alten Hausbesen Werle vom alten Haus in der Neckarstadt! Und es sollte sich zeigen, dass unsere Beobachtung nicht falsch war. Hr. Alt sollte für mehr als 20 Jahre der gute Geist und die „Seele“ des Neuen Moll werden. Für viele Schülerjahrgänge blieb er unvergesslich, der resolute, aber menschlich angenehme Sozialdemokrat und Waldhof-Fan. Auch wir hatten noch unsere ganz persönliche Geschichte mit ihm, allerdings erst nach dem Abitur. Jetzt besichtigten wir erst mal unsere neue Wirkungsstätte und waren beeindruckt, vor allem von der Grösse. Dass es noch gewaltig hakte, erfuhren wir erst nach Unterrichtsbeginn.
Der war dann am 18. September 1969, und natürlich rückten wir mit den Fahrrädern an, das Wetter war noch schön; bis in den November haben wir das durchgezogen. Aber dann der Schock: am ersten Schultag hingen die neuen Klassen aus, mit Klassenzimmer, Klassenlehrer und Schülern. Karl-Heinz und ich waren getrennt und in unterschiedlichen Klassen: er in der OIIe und ich zurück in der a), nämlich der OIIa. Aber mit vielen anderen Schülern zusammen, die ich gar nicht kannte. Immerhin waren Lutz, Jörg und andere Bekannte auch dabei, aber auch ein Klaus Leue und ein Helmut Arndt. Die beiden letzteren waren sitzengeblieben und sollten in der Zukunft meines Lebens noch eine Rolle spielen; zunächst allerdings erst mal nicht. Das Klassenzimmer war im obersten Stock des Hauptgebäudes (A-Trakt) und recht gross, da wir viele waren. Die Tische waren in Form eines U angeordnet, die Schüler der ursprünglichen a) sassen bereits vorn, wir von der alten d) mussten uns weiter hinten platzieren, das war zunächst einmal die Hackordnung, die sich dann auch weiter zementieren sollte. Denn es stellte sich heraus, dass die alte a), in der übrigens mein alter Freund Karlheinz Frank war, jetzt aber nicht mehr dabei, viel bessere Vorbildung hatte. Sprich, also in den vorhergehenden Klassen die besseren Lehrer gehabt hatte. Das war in den Naturwissenschaften nicht so gravierend, wo wir erfreulicherweise weiter unseren geliebten Hrn. Becker hatten. Allerdings schon in einigen anderen Fächern, besonders in den Sprachen. In Englisch passierte Erfreuliches: der mir als Referendar aus der Unterstufe bekannte Hr. Klautke stellte sich als Klassenlehrer und Fachlehrer für Englisch und Gemeinschaftskunde/Geschichte vor. Das war mein erstes Wiedersehen mit ihm, dann bis zum Abi. Der Englischunterricht nahm entsprechend Fahrt auf hohem Niveau auf. Geschichte und Gemeinschaftskunde waren schwierig, weil wir durch Fr. Hess (Geschichte) nicht auf bestem Niveau waren, und in Gemeinschaftskunde ein Bruch passierte, der selbst mir als jungem Kerl damals auffiel: vom stockkonservativen stellvertretenden Direktor Umstätter zum links-liberalen Hrn. Klautke. Am schlimmsten kam es aber in Französisch, dem Fach, in welchem uns zwei alte Lehrerinnen im alten Moll völlig „versaut“ hatten, wohlgemerkt aber nur den Teil der Klasse, der sich aus der ehemaligen d) rekrutierte. Die ehemaligen a)-Schüler waren deutlich besser, aber auch nicht so wirklich gut. Wir bekamen eine junge Lehrerin, klein, aber resolut und engagiert, Fr. Keuck, die, glaube ich, als Assessorin am Moll ihr erstes Jahr absolvierte. Sie ist später auch nicht geblieben, war wohl familiär woanders zu Hause, aber in der Zeit am Moll und mit uns hoch engagiert. Sie hat zunächst eine Leistungsstand-Ermittlung durchgeführt (sehr professionell), in welcher der a)-Teil der Klasse bei ca. 3-4 endete, der d)-Teil bei 6; wenn einer eine 5-6 hatte, kam der hämische Kommentar „Du Streber“. Aber es war uns allen klar, dass im Hinblick auf das Abi höchste Alarmstufe herrschte. Fr. Keuck bot uns grosszügig kostenlose Nachhilfe in der 7. Stunde am Donnerstag an, wer immer das wollte. Die gesamte ehemalige d) hat das entsprechend wahrgenommen. Die Sitzenbleiber und die ehemaligen a)-Schüler eher nicht. Relativ schnell ging mir in dieser Klassenstufe mit 5 Hauptfächern, dem Rückstand in Französisch und dem übervollen Stundenplan die Luft aus. Weil es damals möglich war, ich glaube nach dem 16. Geburtstag, habe ich dann erst mal Religion abgewählt und eben Französisch „gebüffelt“. Trotzdem kam bald noch weiteres dazu, was meinen Zeitplan wieder „dicht machte“, aber erst mal noch zu Sport, Deutsch und Chemie. Die erste Enttäuschung: in den Sporthallen des C-Traktes wurde noch handwerklich gearbeitet. Wir hatten zwar einen Sportlehrer, Hrn. Grassmann (nach Englisch und Erdkunde jetzt Sport), aber Sportunterricht war fast bis Ende des Schuljahres nicht möglich. Wo es ging, sind wir im Frühjahr und Sommer des nächsten Jahres (1970) auf Aussenanlagen ausgewichen. In Deutsch gab es jetzt nach Hrn. Ganz einen neuen, jungen Lehrer, Hrn. Berger, der nochmal eine Schippe draufgelegt hat. Aber es war sehr gut möglich, ihm zu folgen und damit die notwendigen Stufen hin zum Abitur zu nehmen, soviel kann ich jetzt schon sagen. Das Niveau ist eines, die Schüler dahin mitzunehmen, ein anderes Thema. Hr. Berger konnte beides exzellent: auch er ist leider nach unserem Abitur nicht geblieben, ebenso unser Biologie-Lehrer Hr. Meister, der 1972 zurück an die alte Schule ging, also an das inzwischen etablierte LFG. Ja, und schliesslich Chemie, meine Zukunft, wie sich damals zwar abzeichnete, aber trotzdem noch nicht endgültig klar war. Nach den krankheitsbedingten Ausfällen von Hrn. Schaljo, weiss gar nicht mehr, was danach passierte, und schliesslich dem theoretischen Gedödel des OStR Mag ohne Versuche, und meinen eigenen privaten Studien und Versuchen nun der Hr. Studienprofessor (Molly) Heinz Schmidt. Ein Mann mit rauer Schale und gutem Kern; je nachdem, wie man selbst gestrickt war, war das gut oder schlecht. Ein paar Schüler aus meiner Klasse und auch der Jugendgruppe-Freund Wolfgang hatten grosse Probleme mit ihm, ich hab‘ den richtigen Zugang gehabt und entsprechend auf der „Sonnenseite“ gelebt. Mit Chemiehelfer-Funktion, Chemie-AG und BASF-Schülerstipendium, durch ihn vermittelt. Was wieder einmal deutlich macht, wie wichtig das gegenseitige menschliche Verständnis ist, auch wenn das ein 16-Jähriger normalerweise nicht versteht…..
Trotzdem war auch hier der Anfang schwer, weil zunächst der naturwissenschaftliche B-Trakt auch noch nicht fertig war und erst gegen Ende des Winters bezogen werden konnte. Also ging es auch bei ihm erstmal im Klassenzimmer und ohne Versuche weiter; wir waren es ja gewohnt. Aber sobald es möglich war, ich glaube, das war im März 1970, hat „Molly“ voll aufgedreht und uns die Welt der Chemie in vielen Versuchen näher gebracht, auf teilweise eindrucksvolle Art und Weise. Ich und Lutz waren dabei in vorderster Front als Chemie-Helfer dabei und fanden das sehr aufregend und interessant. Nebenbei hat das auch die Note für Mitarbeit auf eine 1 gebracht, das war der angenehme Nebeneffekt, aber deswegen haben wir es nicht gemacht. Und Hr. Prof. Schmidt konnte sich auf uns verlassen, wir haben alles ordentlich und sicher gemacht, das hat er uns bescheinigt. Schliesslich waren Lutz, ich und dazu noch Jörg (Dubiel) und Günter Kurth auch noch an anderer Stelle mit Chemie/Physik unterwegs. Mit dem Thema Raketen wollten wir an „Jugend forscht“ teilnehmen und hatten uns Hrn. Becker, unseren Physiklehrer, als Mentor ausgesucht. Irgendwie hatten wir anscheinend immer noch nicht genügend zu tun….
Das Thema hat uns dann aber auch ein wenig Ärger eingebracht. Wir haben nämlich Versuche in der grossen Pause im inneren, nördlichen Schulhof gemacht (hinter dem C-Trakt) und hatten einerseits die „Kleinen“ aus der Unterstufe als Publikum, und zum anderen aus dem 1. OG die Direktion, die von unserem Treiben nicht so begeistert war. Wir wurden entsprechend vorgeladen und über die Sicherheitsrisiken aufgeklärt, von Hrn. Umstätter und in angenehmem Ton. Und sodann auf die Zeit nach der Schule und als Ort auf den ausserhalb liegenden Sportplatz verwiesen. Die Direktion stand im Prinzip hinter uns, wollte aber jegliche Gefährdung anderer Schüler ausschliessen, was verständlich war. Der Kompromiss wurde beidseitig angenommen, eine schöne Vereinbarung zwischen Schulleitung und Schülern, wie ich auch heute noch meine. Bei der Entwicklung der Raketen habe ich auf einen selbst entwickelten neuen Treibstoff gesetzt, den ich nachher noch viele Jahre produziert und gegossen habe: MSK, das war die Abkürzung von Magnesium (Mg), Schwefel (S) und Kaliumnitrat (K). Von Günter Kurth kam die Idee, Löschpapier mit Ammoniumnitrat zu tränken und zu trocknen. Beide entwickelten genügend Gase für einen Vortrieb, aber die Konstruktion einer geeigneten Düse wollte uns nicht gelingen (Raketentechnik-PDF), so dass wir am Ende der Klasse das Projekt einstellten, um uns in Ruhe der bevorstehenden Abiturprüfung zu widmen, zumal Günter sitzen blieb und damit aus dem Team ausschied. Ich glaube auch in dieser Klassenstufe gab es noch ein anderes Highlight, welches zusätzliche Arbeit erforderte. Die Schule hatte als Industriespende einen Olivetti Computer bekommen. Zum ersten Mal ergab sich für uns Schüler die Möglichkeit, Computer-Programmierung zu erlernen. Das war damals Basic, oder ein Vorläufer davon. Hr. Becker bot eine Computer-AG an, und wieder war ich dabei, obwohl ich mich vor Terminen kaum noch retten konnte. Dazu noch die Jugendgruppe am Di (Tischtennis) und Do (Quiz, Diskussion, Hitparade, Party). Ich weiss im Nachhinein gar nicht mehr, wie ich das alles geschafft habe. Einiges war im Niederfeld (also Bus oder Fahrrad), einiges in der Neckarstadt, also in Laufdistanz. Aber als junger Mensch schafft man das, und es war sehr erfüllend und hat Spass gemacht. In dieser Phase war es einmal gar nicht so wichtig, dass es kein Mädchen an meiner Seite gab, ich hatte eh keine Zeit. Im Hinterkopf war es aber trotzdem…..
Durch die zu dieser Zeit sehr erfolgreiche Raumfahrt ging das chemische Interesse stark in Richtung Raketen- und Pyrotechnik, zumal für letzteres Günter Kurth einiges an Rezepten zusammentrug. Wie schon erwähnt, waren solche Versuche auch für die anderen in der Jugendgruppe interessant, die mich machen liessen und auch auf meine Sicherheits-Aufforderungen reagierten, so dass nichts gefährlich wurde. Und ich war halt in diesen Situationen, meist vor dem TT-Training am Dienstag-Abend, mal kurze Zeit der „Chef im Ring“. An einem trüben Novembertag 1969 ist dann in diesem Zusammenhang etwas passiert, worüber wir jahrelang gebrüllt haben vor Lachen, obwohl es letztendlich gar nicht so lustig war. Dienstags vor dem Tischtennis hatte ich wieder was zum Zünden dabei, diesmal u.a. eine Rauchmischung aus der „Kurth’schen Rezeptsammlung“ aus Ammoniumnitrat und Zinkpulver. Beides war damals überhaupt nicht schwer zu beschaffen. Einmal mit einer Zündschnur gezündet, fauchte und zischte es grünlich vor sich hin, unter enormer Rauchentwicklung durch Zinkoxid (Video), der hinter der Kirche an der Kreuzung Kobell-Str./Lange Rötter-Str. aufstieg und sich in der Luft verteilte. Es war bereits dunkel, und die Luft war sowieso schon nebelschwanger; da genügten die fein verteilten Zinkoxid-Partikel als Kondensationskeime, und es bildete sich in kurzer Zeit dichter Nebel. Aber nur auf einem kurzen Stück der Lange-Rötter-Str. zwischen Melanchthon-Kirche und Uhland-Schule. Davor und danach war die Sicht klar. Wir haben das gesehen, als wir bei einer Pause im Tischtennis mal nach draussen gingen. Sogar die Polizei ist durchgefahren und hat das mit Erstaunen quittiert, ohne allerdings eine Erklärung für dieses Phänomen zu haben. Dieses Geheimnis kannten nur wir…..
Musikalisch hatte der Herbst 1969 auch noch einiges zu bieten, unter anderem den Hit „Reflections of my Life“ von Marmelade, später für mich noch sehr bedeutungsvoll (siehe die Version im Kapitel „2016 – Entsorgung“), und das „Concerto for Group and Orchestra“ von Deep Purple, geschrieben von deren Organisten Jon Lord (CD). Darüber habe ich später ein Doppel-DVD-Werk gemacht (Video von 1969, Making of 2012 und Tod von Jon Lord).
Eisenbahn/Rennbahn, Mädchen, Knie und Raketen
Wenn ich bei Karl-Heinz war, inzwischen ja längst in der neuen Wohnung in der Eichendorffstr., spielten wir oft mit seiner Faller-Autorennbahn (Faller AMS). Aus dem gemütlichen Stadtspiel mit Kreuzung, Weichen und Ampeln und mit Fahrpulten im Lenkrad-Design war längst Racing pur geworden. Wir bauten eine Rennbahn mit einer 3 m langen Geraden und Steilkurve in seinem Zimmer unter dem Schrank auf und fuhren Langstrecken-Rennen über eine halbe Stunde. Die Autos wurden heiss und mussten öfter mal gewechselt werde, also hatte jeder mindestens 2 Autos, ggf. sogar 3. Karl-Heinz liebte die Ferraris, ich die Porsche. Dazu hatte er noch von Aurora einen Lola und einen (Ford) Cobra gekauft. Diese Autos des amerikanischen Pendant von Faller AMS waren ebenfalls im Maßstab 1:87 gehalten und kompatibel. Bislang hatte mir Karl-Heinz immer von seinen Autos welche geliehen, aber etwa im Sommer 1969 hatte ich mir auch eine Grundpackung mit einer kleinen Strecke und 2 GT-Rennwagen gekauft (oder geschenkt bekommen). Also hatte ich jetzt auch schon eigene Wagen, einen Porsche GT und einen Ferrari GT. Da ich aber im Rennen immer Porsche gefahren bin, habe ich 1 oder 2 weitere Porsche von Karl-Heinz bekommen, er dafür meinen Ferrari. Wie wir die „Exoten“ von Aurora eingesetzt haben, weiß ich nicht mehr. Teilweise haben wir auch 1, 2 oder 5 Runden auf Zeit gefahren und mit der Stopuhr gestopt. Einen Rundenzähler hatten wir damals noch nicht.
Das 2. Halbjahr von 1969 und das gesamte Jahr 1970 war dann die kurze Zeit der Ko-Existenz von Faller-Rennbahn und Eisenbahn. Letztere wurde Ende 1970 von Vater abgebaut, wobei ich darauf achtete, dass möglichst viele kleine Häuschen und Zubehör erhalten blieben und eingelagert wurden. Später habe ich meinem Sohn damit wieder eine Bahn aufgebaut, inzwischen (2022) auch wieder abgebaut; und es ging auch da nahezu nichts kaputt. Ich will versuchen, nochmal eine Bahn aufzubauen. Dann aber in H0 International, wo man viele Fabrikate weltweit kombinieren kann. Weihnachten 1969 und 1970 gab es beide Bahnen nebeneinander, danach nur noch die Autorennbahn. Aber aktiv auch nur etwa bis Ende 1972. Bis dahin hatte ich mir jedoch auch noch viele weitere Straßenschienen und auch Autos dazu gekauft. Auch das ist alles eingelagert und wartet auf seine Wiederbelebung für den Enkelsohn.
Das Thema Mädchen ging so traurig weiter, wie ich es bereits beschrieben habe. Im Sommer 1969 ging auch mein Interesse an Marlies, einem Mädchen aus der Jugendgruppe ins Leere. Sie war zwar gar nicht besonders hübsch, aber nett, und hatte endlos lange Beine im Minikleid; das gefiel mir. Aber sie fühlte sich „zu jung“ für den ersten Freund. Das hat dann irgendwann ein anderer übernommen, ärgert mich alles bis heute tierisch. Damals war ich einfach nur traurig, dass ich fast als einziger immer allein sein musste. Ich habe in der Zeit, als ich mit Marlies zusammen in der Jugendgruppe war, sie aber auch nie mit einem anderen Jungen zusammen gesehen – schwacher Trost. Da Karl-Heinz inzwischen fest mit seiner Anette aus der Jugendgruppe ging, und wir ja alle ins neue Moll-Gymnasium im Niederfeld gingen, hat sich ein neuer Nachhauseweg etabliert, wobei dann allmählich auch 2-3 andere Mädchen aus Anettes Klasse dabei waren, Jutta Brenzinger, Annegret Hauenstein und ein drittes Mädchen, zierlich, dünn und sehr still und scheu. Mit der konnte man kein Gespräch führen. Ich habe sie kürzlich in „Stay Friends“ gefunden, als Sabina Lammers identifiziert und angeschrieben – auch hier ohne Widerhall…… Schon komisch, warum sind die Leute Mitglied in so einem Forum alter Schulkameraden und geben dann keine Antwort. Eine andere habe ich wenigstens dazu gebracht, eine Antwort zu schreiben, aber da war auch mehr. Doch diese Geschichte (Teil A und B) kommt erst später, in den frühen 70er Jahren, schon als Student. Der Nachhauseweg verlief also so: zunächst kurzer Fußweg zur Endhaltestelle des Busses Nr. 71 am Diakonissen-Krankenhaus Ecke Speyerer Straße/Meerwiesenstraße. Mit dem Bus bis zur vorletzten Haltestelle am Gewerkschaftshaus Ecke Friedrichsring/Collinistraße. Dort Umstieg in die Straßenbahn Linie 7 nach Käfertal; damals fuhr die Straßenbahn Richtung Ebertbrücke noch durch die Collinistraße. Dann sind wir an der heutigen Haltestelle Universitätsklinikum – damals hieß sie noch einfach Ebertbrücke – ausgestiegen und Richtung Käfertalerstr. gelaufen, wo wir uns nach und nach ins jeweilige zu Hause verzweigt haben. Mein größeres Interesse galt damals der hübschen Jutta, mit der man sich auch ordentlich unterhalten konnte, die war durchaus klug. Aber auch das sollte keine Erfolgsstory werden. Sie ist später die Frau von Peter Hettinger geworden, einem Mitschüler eine Klasse tiefer, der zusammen mit mir und Lutz ein Chemie-Schülerstipendium der BASF bekommen hat. Dieses Schüler-Stipendium umfasste den Bezug der Zeitschrift „Chemie in unserer Zeit“ während der gesamten 3 Jahre in der Oberstufe, sowie ein sehr interessantes Praktikum im Lehrlabor der BASF. Mehr dazu später. Also auch bei Jutta Fehlanzeige, „Ersatzkandidatin“ wurde dann Annegret, die vor allem viel redete. Sie war die vorletzte, die abbog, dann war nur noch Anette, die war aber erstens vergeben und interessierte mich zweitens nicht, zu herb. Es stellte sich viel später auch heraus, nachdem sie Karl-Heinz‘ erste Frau geworden war, dass sie lesbisch war. Ich habe das damals irgendwie schon gespürt. Aber auch Annegret, keine Überraschung, war Fehlanzeige. Eigentlich hatte ich ja eh keine Zeit, konnte aber allmählich das Alleinsein und die Missachtung durch Mädchen nicht mehr ertragen.
In meiner Klassenstufe waren zu den ursprünglich 4 inzwischen noch weitere Mädchen dazu gekommen, wie bereits erwähnt. Karin hingegen hatte die Schule schon vor dem Umzug ins Niederfeld verlassen. In den Klassen darunter waren inzwischen viele Mädchen auf der Schule; es wurde langsam ein normales Bild. Und ab dem Umzug war dafür auch nicht mehr das Unterrichtsfach Russisch notwendig, weil es inzwischen flächendeckend die Co-Edukation gab. Im Gegenteil, es wurden ab Schuljahr 1969/70 gar keine Schüler für Russisch mehr in der Eingangsklasse aufgenommen, weil im Moll-Gymnasium inzwischen das Ende des Russisch-Zuges für 1979 beschlossen war. Frühere Schwärme wie etwa Brigitte hatten sich mir auch entfremdet durch einen offensichtlichen Linksruck und das Tragen von Jeans und Parkas. In der aktuellen Klasse 13 war die 68er-Revolution fest verankert, ganz besonders militant in der Klasse c), die noch für Furore sorgen sollte, bevor sie von der Schule abging. Es ist wahrscheinlich auch alterskonform, wenn sich Jungs in dem Alter für etwas jüngere Mädchen interessierten. Auffällig war auch ein anderes jüngeres Mädchen, die offensichtlich neu an der Schule war, sehr attraktiv, vielleicht 3 Jahre jünger, immer an der Seite eines ungepflegt aussehenden „Hippies“, der ganz offensichtlich ihr Freund war, aber überhaupt nicht zu ihr passte. Es war nicht schwer, das Mädchen als Ingrid zu identifizieren; sie hatte einen tschechichen Nachnamen. Wie sich später herausstellte, war die Familie am Ende des Prager Frühlings vor den Russen nach Deutschland geflüchtet. Im Moment war diese 13-jährige, obwohl sehr attraktiv, außerhalb meines Interessen- und Dunstkreises; was sich aber 3 Jahre später ganz überraschend ändern sollte……
Schon seit etwas mehr als einem Jahr hatte ich Probleme mit meinem linken Knie, das sich vor allem beim Bücken und Wiederaufstehen wie „auskugelte“; ich konnte dann das Bein nicht mehr strecken und auch nicht belasten. Ich hatte schnell gelernt, das Knie mit einem Griff beider Hände wieder „einzukugeln“, was Umstehenden aber immer Schauer einflößte. Die Diagnose eines aufgesuchten Chirurgen am Friedrichsring war „Meniskusschaden“. Ich bekam Reizstrombehandlungen und Spritzen, aber so richtig hat nichts geholfen. Von der Direktion waren wir ja mit unseren Raketenversuchen auf den Sportplatz und nach Beendigung der Schulstunden verwiesen worden. Daran hielten wir uns und hatten in Folge keine weiteren Konflikte deswegen. An einem Tag im späten März 1970 war mal wieder ein Startversuch angesetzt. Ich hatte inzwischen mit dem Märklin-Baukasten eine Startrampe mit Lafette gebaut, die die Rakete auf den ersten Zentimetern des Aufstiegs stabilisieren sollte. Leider gab es aber auch immer wieder heftige Explosiv-Starts, wenn der Triebwerksabbrand außer Kontrolle geriet. Das war auch an jenem Tag der Fall. Da ich zur Zündung noch in der Hocke neben der Rakete kauerte, sprang ich recht heftig auf, um in Sicherheit zu kommen. Das gelang, der Start nicht. Und anschließend war mein Knie wieder „ausgekugelt“ und absolut nicht in seine Ausganglage zurück zu bringen. Jörg und Lutz haben geholfen, alles zusammen zu sammeln und abzubauen. Lutz hat mich anschließend den ganzen Weg im Bus und zu Fuss nach Hause begleitet, meine Schultasche getragen und mich gestützt; das war wirklich heroisch. Am Nachmittag bin ich zu dem besagten Arzt gefahren. Der hat mich sofort ins Lanz-Krankenhaus auf dem Lindenhof eingewiesen, wo er Belegarzt war. Das Lanz war damals an der Ecke Landteilstr./Meerfeldstr. angesiedelt. Also 2/3 des Weges zum Moll wieder zurück. Lutz‘ Familie ist damals aus der Neckarstadt am anderen Ende der Käfertalerstr. in die Bellenstr. auf dem Lindenhof umgezogen; ich weiß nicht mehr, ob das zu diesem Zeitpunkt schon der Fall war.
Knie-OP, Apollo 13, Schulstreik, ein Zeitungsartikel und Deep Purple in Rock
Ich musste jedenfalls operiert werden, mit Vollnarkose und großem Schnitt; heute macht man so etwas ambulant mit einer Kniespiegelung und minimal invasiv. Zudem musste ich tagelang im Bett bleiben, durfte nicht aufstehen, ist heute auch alles anders. Ich hatte ein sehr nettes 3-Bettzimmer mit 2 Herren, mit denen ich mich gut verstand. Der eine war Zugbegleiter und fuhr mehrfach die Woche Frankfurt-Barcelona. Der hatte natürlich für mich als Eisenbahn-Fan viel Interessantes zu erzählen. Zudem hatte er ein Radio dabei und spielte morgens immer die Schlager mit Werbung, wie das damals üblich war. Es war die Zeit, als sich in die Schlager allmählich die ersten Popsongs mischten, Peter Maffay 8 min lang mit „Du“ und auch mal das Sir Douglas Quintett mit Mendocino zu hören war. Toll!
Ich bekam viel Besuch, manchmal sogar zu viel. Natürlich kam Mutter jeden Tag, dazu mal Karl-Heinz, der mir Genesungswünsche von der Jugendgruppe überbrachte, auch einmal Wolfgang von der Gruppe. Ab und an Jörg, aber jeden Tag wie ein treuer Freund, Lutz. Er hat sich richtig reingehängt, mir zu helfen und sich regelrecht aufgeopfert; das habe ich ihm bis heute nicht vergessen. Er brachte mir die täglichen Hausaufgaben, weil wir alle wussten, wie wichtig es in dieser schweren Klasse war, am Ball zu bleiben. Gerade hatte ich im Februar mein schlechtestes Zeugnis jemals bekommen, mit einer 4 in Französisch und vielen 3ern. In Englisch hatte ich noch vor meinem Unfall ein Diktat auch nur mit einer mageren 3 absolviert, die 2. Arbeit des Halbjahres habe ich wegen meines Krankenhaus-Aufenthaltes versäumt; da wurde es langsam eng mit der für das Abitur avisierten 2 in dem Fach. Denn im Sommer war der Englisch-Unterricht zu Ende, die Note der Klasse 11 wurde ins Abizeugnis in 2 Jahren übertragen.
Lustig war, allerdings nicht für sie, dass meine Mutter nachmittags am Krankenbett nur noch höchstens die Nr. 2 war, weil die Freunde mich alle besuchten und Lutz mit mir Hausaufgaben machte bzw. dazu notwendiges Wissen aus dem Unterricht erklärte. Mutter war manchmal richtig sauer, ich erklärte ihr aber, dass das wichtig sei. Dafür hatte sie Verständnis.
Dann gab es auf einmal ein interessantes und tragisches Zusammentreffen von Dingen. Die Freunde hatten zusammengelegt und mir ein Buch über die erste Mondlandung geschenkt. Wenn ich mich richtig erinnere, kam ich gerade aus dem Krankenhaus raus, als die Tragödie um Apollo 13 begann. Wir haben das alle damals im Radio und abends im TV verfolgt, aber es gab natürlich nicht diese minütliche Abdeckung durch die Medien wie heute. Eine Explosion im Versorgungsteil der Raumkapsel ließ den Sauerstoffvorrat sinken, und die 3 Astronauten konnten sich nur mit Hilfe der noch nicht benutzten Mondfähre retten. Sie umrundeten den Mond, weil es die energetisch günstigste Variante war und kehrten letzten Endes wohlbehalten zur Erde zurück. Über die vielen kleinen Dramen an Bord während dieser Odyssee (die Kapsel war auch noch auf den Namen Odyssy getauft!) informiert in glänzender Manier der viele Jahre später gedrehte Film „Apollo 13“, mit Tom Hanks in der Hauptrolle als Captain Jim Lovell. Ja, genau der Lovell, der Weihnachten 1968 zusammen mit Frank Borman und William Anders zum ersten Mal den Mond umrundet hatte. Er war der Erfahrenste an Bord des havarierten Fluges. Seine Mitstreiter waren Fred Haise („Fredo“) und der zuvor kurzfristig eingesprungenge Jack Swigert. Der Fim ist toll gemacht und eine Art Mischung aus Doku und Spielfilm. Der Deutschlandfunk erinnert in seinem Kalenderblatt am 17.04.2020 (mitten in Corona) an die glückliche Rückkehr vor 50 Jahren.
Ich glaube noch vor meinem Krankenhausaufenthalt hat sich die politische SiItuation an der Schule zugespitzt, und nicht nur am Moll. Die 68er-Revolution schwappte jetzt von den Unis hinunter an die Schulen, wo allerdings das Verständnis für die Anliegen, aber auch das Fehlverhalten der Akteure aufgrund des großenteils wesentlich jüngeren Alters der meisten Schüler begrenzt war. Die politischen Akteure waren entsprechend ausschließlich in den höheren Klassen zu finden. Im Moll war das die Abi-Klasse OIc) mit den Radikal-Linken Mosthaf, Glander, R. Lechner, Volz und eventuell weiteren (Jahresbericht 1970, S. 34/35). Der ebenfalls in dieser Klasse befindliche Dieter Bauer hatte als Berufswunsch Musiklehrer angegeben und wurde direkt nach dem Abi in den folgenden Jahren einer der besten und prägendsten Bassisten der Rock- und Progrock-Szene in Mannheim, u.a. bei Cock (mit Ede Tylkowski) und bei 2066 And Then. Die vorgenannten Radikalen hatten sich zwar aus der Schülermitverwaltung (SMV) zurückgezogen, wie das für die letzte Klasse üblich war, dafür aber die Schülerzeitschrift „Biene“ als Sprachrohr übernommen, um linksradikale Schmähschriften gegen ungeliebte „reaktionäre“ Lehrer zu verfassen. Das passte der Schulleitung und Elternschaft nicht (Jahresbericht 1970, S. 28). Ob es tatsächlich zu einem Schulstreik mit Unterrichtsausfall kam, weiß ich heute nicht mehr; aber auf jeden Fall führte das Ganze zu einer sog. „Exil-Biene“, die, mit linksradikalem Gedankengut gefüllt, nur vor den Toren der Schule verkauft werden durfte. Aber damit konnte die Leserschaft in der Unter- und Mittelstufe nichts anfangen, so dass dieser Versuch kläglich scheiterte. Ich habe Rainer Lechner später an der Uni wiedergetroffen. Er war der mittlere von 3 Söhnen eines Kollegen meines Vaters, der ebenso wie wir in der Neckarstadt-Ost wohnte. Der Ältere, Helmuth, war noch vorher absolut geräuschlos mit dem Abitur abgegangen, sein jüngerer Bruder Harald war mein Jahrgang. Rainer hat sich wohl bald vom 68er Linksradikalismus abgewendet, hatte aber verlernt, wie man arbeitet. Ich musste zusammen mit ihm 1974/75 das Fortgeschrittenen-Praktikum Physikalische Chemie II machen, und er hat mich tierisch aufgehalten (Zeit gekostet), weil bei ihm nichts voran ging. Aus dem ursprünglichen Berufswunsch Neuphilologe war eh nichts geworden; ob er später (ich habe ihn überholt) das Chemie-Studium abgeschlossen hat, weiß ich nicht. Auch ein späterer RAF-Terrorist hat das Moll besucht, aber nicht in dieser Jahrgangsstufe…….
Ein Artikel der anderen Art wurde dann aber im Frühsommer zu einer Erfolgsgeschichte für mich – etwas unerwartet. Ich hatte während meines Krankenhaus-Aufenthaltes u.a. auch die 2. von insgesamt 3 Englisch-Arbeiten verpasst. Meinen bei Hrn. Klautke vorgetragenen Wunsch, diese nachzuschreiben, lehnte dieser ab und meinte, ich würde die angestrebte 2 auch so schaffen. Gleichzeitig startete er ein damals revolutionäres Experiment. Es war zur damaligen Zeit üblich, Übersetzungen nur mit bis dahin gelernten Wörtern/Vokabeln schreiben zu lassen. Kamen doch ein paar neue Wörter vor, so wurden diese an die Tafel geschrieben. Hr. Klautke erklärte uns, er möchte zunächst Mal ein Experiment mit uns machen, ob wir alle Wörterbücher hätten, welches sei egal, empfohlen hat er Langenscheidt. Er hat dann versuchsweise eine Übersetzung eines unbekannten Textes mit uns geübt, wozu wir alle ein Wörterbuch benutzen durften. Das schien zufriedenstellend ausgefallen zu sein. Der nächste Text war dann ein Zeitungstext. Ich hatte übrigens Wörterbücher von Bertelsmann, ein rotes für Französisch und ein blaues für Englisch. Wir haben die Testarbeiten als mündliche Noten bewertet bekommen. Dann hat er, wie ich mich erinnere, sogar die Klasse gefragt, ob wir die letzte anstehende Arbeit, eine Übersetzung aus dem Englischen ins Deutsche, auf diese Weise schreiben wollen. Wir votierten mit „ja“, und so kam der Tag, an dem diese Arbeit geschrieben wurde, von Hrn. Klautke angekündigt als „politischer Text“. Er war ja auch Politik-/Gemeinschaftskunde-Lehrer. Am Morgen des Tages kam er mit einem Bündel Zeitungen rein; er hatte sich einen relativ aktuellen englischen „Guardian“ besorgt und teilte uns einen politischen Artikel daraus aus. Wir hatten 2 Stunden Zeit. Irgendwie hat die Klasse sehr geschäftig und ruhig gearbeitet – wir waren ein Experiment, welches Hr. Klautke auch vor dem konservativen Direktor Kalbe verantworten musste….
Nun, ich wurde in der Zeit fertig, habe zunächst einmal grob übersetzt auf einem Schmierzettel, dann sauber ausformuliert ins rot gebundene Klassenarbeits-Heft übertragen. Später am Tag hatten wir nochmals Unterricht bei Hrn. Klautke, wahrscheinlich Gemeinschaftskunde. Diese Stunde nutzte er aber für eine interessante Feedback-Runde; ein großartiger Lehrer!
Dann kam der Tag der Rückgabe mit Noten. Es war damals üblich, den Schülern die Arbeithefte einzeln und mit Kommentar zurückzugeben. Es gab kaum schlechte Arbeiten viele mittelgute und gute, aber ich kam irgendwie nicht dran und wurde langsam nervös. Schließlich stand meine Abi-Note auf dem Spiel ….. Schließlich war nur noch ein Heft übrig – meines. Wir hatten im Untericht den Artikel inzwischen ausführlich besprochen, alle hatten noch das englische Original. Hr. Klautke erklärte dann, er möchte nun diese letzte verbleibende Arbeit vorlesen – es war meine! Nachdem er fertig war, erklärte er, das sei eine ganz außergewöhnlich gute Übersetzung und zitierte seinen unter die Arbeit gesetzten Kommentar: „Eine außergewöhnliche Leistung, so hätte das in einer deutschen Zeitung gestanden“, „Note 1plus mit Stern“. Ich bekomme noch heute feuchte Augen, wenn ich daran denke. Später als Wissenschaftler habe ich ja generell in Englisch publiziert und vorgetragen, aber auch in einzelnen Fällen mein Englisch um die Ohren gehauen bekommen – zu Unrecht, wie damals mein Chef sagte. Aber in diesem Augenblick als 16-jähriger war ich natürlich überglücklich und stolz. In den nächsten Jahren gab es noch weitere Situationen, in denen Hr. Klautke seine außergewöhnlichen pädagogischen Fähigkeiten bewiesen hat. Und damit war natürlich das Thema der 2 in Englisch im Abiturzeugnis gegessen….
Musikalisch ging es mit dem Pop-Shop in SWF3 weiter voran, mit immer mehr Programmteilen für Jugendliche. Und zudem hatte ich auf Kurzwelle – ja das gab es damals noch – RTL aus Luxemburg entdeckt. Mit Camillo Felgen und Tim (Frank) Elstner am Mikrophon. Und einer wöchentlichen LP-Hitparade am Samstag-Nachmittag. Dort gab es eine sensationelle Platte, heute als ein Meisterwerk der Rockmusik gefeiert: Deep Purple in Rock. Mit nur 7 teilweise langen und harten Songs. Die Band hatte nach 3 eher unbeachteten Platten und bescheidenem Erfolg in Amerika in der Mark 2 – Besetzung zu ihrem Erfolgs-Sound der 70er Jahre gefunden. Die LP war sage und schreibe ein halbes Jahr lang – also 26 Samstage – in den Top Ten der RTL-LP-Hitparade zu finden, „Child in Time“ avancierte zum bis dahin meistgespielten LP-Song der Musikgeschichte. Der Song gilt auch heute noch als Meisterwerk der Rockmusik und plaziert sich in der SWR1-Hitparade jeden Oktober konstant auf Platz 3. Er entstammt allerdings einem Songtausch mit einer eher unbekannten kalifornischen Band. Die bekamen von Deep Purple „Wring That Neck“ und im Gegenzug Deep Purple von denen in Grundzügen „Child in Time“. Vor allem Blackmore (g), Jon Lord (org) und Ian Gillan (vocs) haben da schon noch eine geniale Note reingebracht, aber die Grundkomposition war eben von der kalifornischen Band. Die hatten mit „Wring That Neck“ bei weitem nicht den Erfolg wie Deep Purple. Die wiederum katapultierten sich mit diesem Song, der LP und der Single „Black Night“ zu Weltruhm. Hier als Beispiel aus dem Album der weniger bekannte Titel „Flight of the Rat“, auch fast 8 min lang.
Jahrhundertspiel, letzte Dampflok, letzter DDR-Besuch und erste Arbeit
Somit ging im Juli dieses schwerste aller meiner Schuljahre zu Ende, und tatsächlich mit einer 4 – der einzigen meines Lebens – in Französisch; ich konnte es nicht abwenden, trotz allem Einsatz. Aber ich muss zugeben, dass mir andere Fächer mehr am Herz lagen, wo es dann auch ordentlicher aussah. Allerdings gab es eine zweite Note, die mich ärgerte, die 3 in Biologie, weil diese letztendlich im Abiturzeugnis stand. Denn mit dieser Klassenstufe war der Unterricht in Englisch (2), Biologie (3) und Musik (2) zu Ende und die Noten wurden ins Abiturzeugnis übertragen. Wie oben erwähnt, hatte ich ja meine 2 in Englisch mit dieser überragenden Übersetzung gerettet, was mir Hr. Klautke auch gerne gönnte. Die Bio-3 bei Hrn. Meister, auch ein guter Lehrer, hatte ich mir wohl selbst zuzuschreiben. Aber wie mehrfach erwähnt, waren die Anforderungen dieses Schuljahres so hoch, dass sie selbst von einem Schüler meines Kalibers nicht gemeistert werden konnten, zumindest nicht in allen Fächern. Schade war, dass diese Bio-3 ziemlich wichtig für meinen Berufs- bzw. Studienwunsch war. Denn für mein späteres Chemie-Studium zählten alle Noten einfach, Biologie 2-fach und Chemie 3-fach. Noch wusste ich ja nicht, wie ich in zwei Jahren abschneiden würde. Die 2 in Musik war interessant zu Stande gekommen, nämlich im Wesentlichen durch das Pflicht-Referat (schriftlich) über Georg Friedrich Händel, einen Zeitgenossen von Bach. Zwar bemängelte Hr. Löb, der Musiklehrer, dass „umfangreiche Werke (14 Din A4-S.) nicht immer die nötige Fokussierung und Qualität aufweisen“, hat es mir aber dann doch entsprechend honoriert, so dass es am Ende für die 2 reichte. Mit Hrn. Löb hatte ich / hatten wir in den Jahren danach noch weitere sachliche Diskussionen, und er wurde vom Saulus zum Paulus, sprich am Ende sogar ein Fan von uns. In was, das werde ich noch aufklären. Es konnte ja keiner zu diesem Zeitpunkt wissen, dass mir noch eine „Musik-Karriere“ im Nebenjob bevorstand……
Aber bevor das Schuljahr sich dem Ende zu neigte, plärrte aus den Transistorradios noch der neueste Hit von Creedence Clearwater Revival (CCR), nämlich „Up Around the Bend“ von der Cosmo’s Factory, ihrem Hitalbum von 1970, dem letzten vor dem großen Streit bzw. Umbruch. Und dieser Sommerhit war der Soundtrack zur großen Fussball-WM in Mexiko. Unter Bedingungen in der Höhe und bei Hitze, die die meisten teilnehmenden Mannschaften nicht kannten. Dazu kam das Infektionsrisiko für eine Magen-Darm-Erkrankung, genannt „Montezumas Rache“. Die deutsche Mannschaft hatte sich mit begeisterndem Fussball der Herren Seeler, Overath, Müller und Beckenbauer bis ins Halbfinale gespielt und musste dort im sog Jahrhundertspiel gegen Italien ran. Wegen der Zeitverschiebung fanden die Spiele bei uns in Deutschland immer erst sehr spät statt, das Halbfinale mit Anpfiff 22:00 deutscher Zeit ging dann mit Verlängerung bis weit nach Mitternacht, was meine Eltern nicht mitmachten, weil Vater am nächsten Morgen früh wieder in die Arbeit musste und ich in die Schule. Die normale Spielzeit (1:1) haben wir alle zusammen noch im Fernsehen angesehen, dann war Ende, ich musste ins Bett, weil es die Eltern so wollten. Aber den weiteren Spielverlauf in der Verlängerung hörte man draußen auf der Straße, wo es lautes Schreien bei den nächsten Toren gab. So schlich ich in die Küche, machte leise das Radio an und verfolgte dort das Spiel bis zum Endergebnis von 4:3 für Italien. Im anderen Halbfinale spielte Brasilien gegen Uruguay; das gewann Brasilien. Im Spiel um den 3. Platz besiegte schließlich Deutschland Uruguay mit einem Tor von Overath mit 1:0, das Finale gewann Brasilien gegen das vom Jahrhundertspiel gegen Deutschland ausgelaugte Italien und gewann damit nach dem 3. Final-Sieg endgültig den Coup Jules Rimet. Für die nächste Weltmeisterschaft 1974 in Deutschland musste daher ein neuer Pokal geschaffen werden.
Somit waren also CCR auf dem Höhepunkt ihres musikalischen Schaffens, Brasilien Weltmeister und das Schuljahr 1969/70 beendet. Mit dem miesesten Zeugnis, das ich je erhalten hatte und mit dem Abgang der 68er-Revoluzzer aus der 13c). Dieses schwere Schuljahr hatte auch tiefe Spuren in unserer Klasse hinterlassen, nahezu die Hälfte der Schüler war sitzen geblieben; entsprechend fanden wir uns im neuen Schuljahr in einem anderen, viel kleineren Klassenzimmer wieder……
Auch noch vor dem Ende des Schuljahres machten wir etwa im Juni mit der Jugendgruppe der Melanchthon-Kirche einen Ausflug in die Pfalz, zum Trifels bei Annweiler. Das war unser letzter Ausflug mit unserem Leiter Hr. Böttcher, das wussten wir aber zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Das war wohl auch mein letzter Anlauf für ein Mädchen in dieser Gruppe, vielleicht war es Marlies, ich weiß es nicht mehr, bevor das Ganze im Herbst ein recht abruptes Ende fand, wobei ich auch eine (unrühmliche) Rolle spielte. Doch dazu später. Wir fuhren mit dem Zug nach Neustadt, dann mit einem Schienenbus nach Annweiler, dann waren wir zu Fuß unterwegs, bis wir schließlich am Nachmittag in Landau ankamen. Dort gingen wir in die Bahnhofsgaststätte und haben etwas getrunken und gegessen. Der Gag des Tages war, dass ich mir das Geld für mein gesamtes Essen aus dem dortigen Spielautomat geholt habe, weil ich die Zahlen sehen und reagieren konnte. Ich habe sozusagen den Automaten geknackt. Da ich keine Unsummen herausgeholt habe, haben die dort nichts gemerkt, aber immerhin konnte ich mein Essen und Trinken davon bezahlen. Das hat zwar für einige Ahs und Ohs gesorgt, aber immer noch hat sich keines der Mädchen für mich interessiert. Das hat dann endgültig für eine innere Verweigerung gesorgt, meine Begeisterung für die Jugendgruppe schwand, und das können sich ganz klar die blöden Mädchen dieser Zeit auf die Fahne heften. Das (unerwartete) Resultat bekam die Gruppe dann im folgenden November aufgetischt – und hat sich danach aufgelöst. Ich frage mich, ob überhaupt eines dieser blöden Mädchen nur im leisesten jemals eine Ahnung hatte, was sie da einem anständigen Jungen angetan hatten, und wie der sich – als die unerwartete Chance kam – „revanchiert“ hat. Vielleicht liest es eine heute im Alter…….
Ich habe mich damals damit getröstet, als Technik-Fan, dass unser Zug in Landau mit einer BR50-Dampflok ankam, diese in Neustadt/W. Kopf machte, rückwärts am anderen Ende des Zuges angekoppelt wurde, und bis nach Ludwigshafen oder Mannheim durchfuhr. So erging es mir im späteren Leben immer wieder, von Mädchen geschmäht, habe ich mich der Technik zugewand. Das war dann nach meiner Erinnerung im Sommer 1970 die (vor)letzte Dampflok, die einen Zug befördert hat, in dem ich saß. Die allerletzte kommt gleich noch.
Die großen Ferien wurden diesmal in 2 Teile aufgeteilt, im ersten Teil fuhren wir wieder zu Oma in die DDR, wie immer. Nur diesmal war es das letzte Mal; das wussten wir nur noch nicht. Aber klar war, dass sich Oma um eine Ausreise in die Bundesrepublik zur Tante nach Streitau/Obfr. bemühte. Dafür hätte sie jedoch die beiden Mietshäuser und Opas Glaserei-Werkstatt dem sozialistischen Staat übergeben müssen, das ganze Lebenswerk der Großeltern! Dazu war sie noch nicht bereit. Wie immer fuhren wir zunächst zur Tante nach Oberfranken, dann 3 Tage später mit dem Interzonenzug weiter nach Reichenbach. Dampfloks fuhren nur noch auf der westlichen, der Hofer Seite der Grenze, ab Hof übernahm wie weiter oben schon beschrieben eine DDR-Diesellok (V180 (Babelsberger) oder V200 (Taiga-Trommel)) bis Reichenbach. Neu war bei diesem eher kurzen Besuch das „erwachsenere“ Umfeld unter uns Jugendlichen; ich hatte erstmals intensiveren Kontakt zu Lutz und Thomas, den beiden Söhnen meines Großonkels Gerhard Espig, der in den nächsten 2 Jahrzehnten eine immer wichtigere Rolle einnehmen sollte. Vor allem hat er dann bald die Gebäude und Werkstatt von Oma übernommen, wobei die Werkstatt an den Staat verpachtet werden musste. Das hat Oma schließlich 1972 die Ausreise ermöglicht. Sie hat dann noch 8 ruhige Altersjahre in einer Gartengeschosswohnung im Haus meines Cousins Eberhard verbracht, bevor sie fast zeitgleich mit der Geburt meines Sohnes im April 1980 verstarb.
Aber zurück nach 1970, also 10 Jahre vorher. Thomas war etwa gleich alt wie ich, knapp 17, Lutz war 4-5 Jahre älter und ein unglaubliches Schach-Genie. Er wurde später einer der 3 Schach-Großmeister der DDR. Aber auch Thomas war sehr gut, nicht ganz das Niveau seines Bruders, aber für mich hat es immer gereicht. Ich habe mit Lutz gespielt, am Tisch, das Schachbrett mit den Figuren vor mir; er lag 3 m weiter hinten auf einem Sofa, ich musste ihm immer die Züge ansagen, er hat alles im Kopf und blitzschnell gemacht. Nach ca. 3 Zügen war schon immer „meine Dame in Gefahr“, wie er sich breit sächsisch auszudrücken pflegte. Der Schachbegriff dafür heißt „gardez“, beschützen Sie Ihre Dame. Nach spätestens 7 Zügen war ich immer schachmatt… Im Garten spielten wir Tischtennis, da war ich durch das Training in der Jugendgruppe besser. Der Garten lag weit draußen auf den Wiesenhöhen um Greiz; dorthin nahmen wir das Transistor-Radio der Espig-Jungs mit und hörten – Achtung! – verbotenerweise auf Radio Luxemburg über Kurzwelle die ganzen West-Hits. In Erinnerung geblieben ist mir dabei „Vietnam“ von Jimmy Cliff, ein trauriger Raggae-Song über den Vietnam-Krieg, der damals in vollem Gang war. Sogar im Kino war ich mal mit Thomas; mir war gar nicht bewusst, dass Greiz so etwas hatte. Aber es war so ein bisschen ein Aufbruch in die Moderne zu spüren, das alte verkrustete Nachkriegs-Deutschland hinter sich zu lassen, auch in der DDR: Ausmusterung der Dampfloks bei der „Deutschen Reichsbahn“, Bau neuer Strassen und Wohnblocks. In einem von denen hatte meine Patentante, (Ger)Linde Wohlrab, eine ganz schicke neue Wohnung bekommen. Wir waren dort zu Besuch. Dort hinauf, auf die Pohlitzer Höhe, sind wir mit dem Bus gefahren, mit einem Tschechischen Ikarus-Bus, der mit eindrucksvollem Diesel-Lärm immer an Omas Wohnung vorbei die stark ansteigende neue Bergstrasse erklomm. Es waren Aufbruchsjahre im Osten, und manche Idee wirtschaftlich gar nicht so schlecht. Z.B. die Aufteilung unter den Staaten des Comecon oder RGW (Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe), wer welche Waren oder Maschinen herstellt, die dann in allen Mitglieds-Staaten genutzt wurden. Ein Musterbeispiel ist die im damaligen sowjetischen Woroschilovgrad, heutigen Lugansk, hergestellte schwere Diesellok „Taiga-Trommel“, die von Berlin bis Wladiwostok auf den Schienen unterwegs war.
Da wir diesmal insgesamt nur 3 Wochen von Wochenende zu Wochenende unterwegs waren, dauerte durch die 2 Zwischenstops bei der Tante unser Besuch bei der Oma nur 2,5 Wochen. Dann ging es zurück, auf dem üblichen Weg mit dem Interzonenzug, der in Reichenbach mit einer 242, also einer E-Lok aus Dresden ankam. Zum letzten Mal ging es in Gutenfürst über die Grenze mit all den Schikane-Kontrollen. Als ich im Sommer 1990 nach 20 Jahren mit Vater und Sohn das nächste Mal diese innerdeutsche Grenze passierte, war sie bereits nicht mehr sichtbar und Mutter schon tot….
Die letzte Rückreise von der Tante mit dem Zug nach Mannheim habe ich versucht, mit der Modellbahn so getreu wie möglich zu rekonstruieren („Frankenland“). Da gab es dann auf der Strecke Hof-Lichtenfels die letzte Dampflok; sie ist in dem Fall sogar unter Fahrdraht bis nach Bamberg gefahren. Alle weiteren Fahrten zur und von der Tante fanden später ausschließlich mit dem Auto statt, anfangs noch ziemlich abenteuerlich. Aber das wussten wir ja alle damals noch nicht…..
Schon vor den Ferien hatte ich meine erste Arbeit ausgemacht, vermittelt durch eine Nachbarin, die im Strebelwerk arbeitete, als Küchenhilfe in der Kantine. Ich hatte ja schon im Jahr vorher versucht, dort eine Ferienarbeit zu bekommen, was aber daran scheiterte, dass ich noch keine 16 Jahre alt war. Dieses Kriterium konnte ich nun im Sommer 1970 erfüllen, und die Verbindung war ja schon hergestellt. Aufgrund meiner Interessen und dem Bedarf an Ferienkräften kam ich ins Betriebslabor. Es war toll und aufregend zugleich – meine erste eigene Arbeit und selbst verdientes Geld. Es war damals noch eine andere Zeit mit Arbeitern am betriebsinternen Kiosk, die in der Pause von ihrer schweren Arbeit in der Giesserei Bier tranken. Das Mittagessen gab es von Fr. Binnewies (die Nachbarin) mit einem Klatsch auf den Teller, der nach der Suppe ohne Ausspülen mit dem Hauptgericht erneut befüllt wurde. Der Chef des Labors war ein promovierter Physiker, Hr. Dr. Becker, ein feiner und kluger Mann mit einem 914 Volkswagen-Porsche. Den durfte ich mal sehen und ich glaube, auch mal darin Platz nehmen. Das Labor war unterteilt in ein physikalisches oder Sandlabor und ein chemisches Analyse-Labor, wo damals noch viel Nass-Chemie gemacht wurde. Als Geräte kann ich mich noch an einen Element-Analysator und ein Photometer entsinnen. Dort arbeiteten ausschließlich Frauen, Laborantinnen. Ich kam ins Sandlabor, hatte einen klugen und angenehmen Türkischen Jungen, Hassan, als Kollegen und einen „kleinen Chef“, Hrn. Haaf, der mich sehr gut ausgebildet hat und ein extrem angenehmer Mensch war. Leider hat er ein Lebensdrama erlebt, welches ich teilweise recht nah mitbekommen habe. Schon diese Arbeitsstelle war aus der Not geboren. Er hatte ursprünglich Bäcker gelernt, aber eine Mehlallergie entwickelt, so dass er umschulen musste. Keiner wusste damals, dass das Strebelwerk in ein paar Jahren Bankrott gehen sollte und er abermals umsatteln und dann im Mannheimer Mercedes-Benz-Werk arbeiten sollte. Schließlich hat er durch einen tragischen Unglücksfall noch seine ganze Familie verloren; das passiert aber erst später in den 70er Jahren. Zunächst einmal war ich glücklich, so einen belesenen und geduldigen Mentor zu bekommen, der mir alle Sand-Untersuchungsverfahren gezeigt hat. Ich habe wohl auch gut gelernt und er mochte mich, so dass ich relativ schnell selbständig arbeiten durfte. Mit Hassan, der übrigens recht gut deutsch konnte, habe ich mich auch gut verstanden. Er hat später nach der Pleite des Strebelwerkes noch eine Laborantenlehre bei der Fa. Goldschmidt auf der Rheinau gemacht und ist seinen Weg gegangen. Die 3 Wochen vergingen wie im Flug, und zum Abschied haben mir Hr. Haaf und Hr. Becker gesagt, dass ich in den nächsten Ferien gerne wiederkommen kann. Schon bei dieser ersten Arbeit hat sich gezeigt, was für mich später wichtig war: vertrauensvolles, selbständiges Schaffen. Da kam immer am meisten heraus. Wenn ich überwacht, bevormundet oder eingeengt wurde, hat es regelmäßig gekracht. Bei meinen nächsten Ferienarbeiten dort, meist dann 4 Wochen, habe ich schnell das Sandlabor selbst geleitet und alles nur noch von Hrn. Becker abzeichnen lassen bzw. sogar mit den Giesserei-Leitern persönlich verhandelt. Das war sicher ein Highlight meines (Berufs-)Lebens, wenn es nicht dieses blöde Ende des Strebelwerkes gegeben hätte und die tragische Geschichte des Hrn. Haaf. Ich werde später noch detaillierter darauf eingehen, was im Strebelwerk gefertigt wurde, welche Rolle der Sand dabei spielte, wie ein Moll-Mitschüler und späterer Bandkollege darin verwickelt war und was schließlich am Ende passiert ist, mit dem Strebelwerk und bei Hrn. Haaf….
Diese großen Ferien waren zum ersten Mal etwas Besonderes, nicht so öde und langweilig wie die davor. Ich war mit meiner Schule umgezogen, hatte jetzt einen weiten Schulweg mit dem Bus, war zum ersten Mal im Krankenhaus gewesen und operiert worden, hatte zum ersten Mal „erwachsenere“ Ferien in Greiz gehabt und hatte meine erste Arbeitsstelle erlebt, wo ich sogar wiederkommen durfte. Ich war insgesamt erwachsener geworden in diesem Jahr, als wir uns zum Beginn des neuen Schuljahres mit viel weniger Mitschülern in einem viel kleineren Zimmer zum Unterrichtsbeginn wieder einfanden. Jetzt standen die letzten beiden Jahre an, die 12. und 13. Klasse, nach alter Terminologie die Unter- und die Oberprima. Dieses schwere aber interessante Schul- und Entwicklungsjahr hatte mir geholfen, dass ich fortan viel selbstbewusster auftrat. Allein bei den Mädchen hatte das jedoch immer noch nicht verfangen….
Ende von Jugendgruppe und Raketenprojekt, neue Faller Rennbahn und Ende Modellbahn
Zu Beginn des neuen Schuljahres 1970/71 fanden wir uns also in dem neuen kleinen Eckzimmer im 3. Stock des Hauptgebäudes ein und waren nur noch 16 Mann. Das war ein ziemlicher Schock. Der zweite kam gleich hinterher, als uns Hr. Klautke eröffnete, dass er nicht mehr unserer Klassenlehrer sei, weil er eine andere Klasse übernehmen musste, warum weiß ich nicht mehr. Und dass uns nun Fr. Keuck übernehmen würde; das führte zu Diskussionen, die aber der umsichtige Hr. Klautke wohl vorhergesehen hatte. Es kam zu einem für alle Seiten angenehmen Kompromiss mit beiden Lehrern als unsere Klassenlehrer. Deshalb stehen auf unserem späteren Abiturfoto auch beide mit uns zusammen. Das hat alles auch gut geklappt, Peter Keller, der Architektensohn wurde wieder zu unserem Klassensprecher gewählt; er hatte wohl auch das entsprechende Alter, die Würde und Erfahrung.
Religion hatte ich ja mit 16 Jahren im Vorjahr aus dem übervollen Stundenkalender herausgestrichen, die Nachhilfe in Französisch bei Fr. Keuck war auch ausgelaufen, jetzt mussten wir es selbst schaffen, was sie uns auch zutraute. Englisch war zu Ende, deshalb hatte Hr. Klautke bei uns auch nur noch den Geschichts- und Gemeinschaftskunde-Unterricht. Wovon er immer ein wenig abzweigte für die Klassenlehrerarbeit und Diskussionen mit Gerhard Müller, der vom Musterschüler zum Problemschüler geworden war, weil er sich der links-radikalen Szene verschrieben hatte. „Cabora Bassa“ war das Stichwort, mit dem es immer eskalierte. Das war ein Staudamm-Projekt in Mosambique. Ich erinnere mich nicht mehr, warum genau das immer zu den Kapitalismus-Sozialismus-Diskussionen führte. Gerhard, einst zusammen mit mir Gewinner von Preisen, schmierte in seinen Leistungen radikal ab und blieb am Ende des Schuljahres sitzen, so dass wir nur 15 waren, die das Abitur letzten Endes bestanden, Peter Keller mit großer Mühe als schlechtester aller Jahrgangsabiturienten. Was aber seiner späteren Karriere als Architekt nicht schadete. Ganz im Gegensatz zu mir, dem Musterschüler, der es später im Beruf unglaublich schwer hatte. Und gar Klaus-Dieter Tietz, unser etwas geistig beeinträchtigter Mitschüler, der nach dem erfolgreich bestandenen Bauingenieur-Studium (parallel zu Peter Keller und Eckhard Ksionsek in Darmstadt) genau einen Tag geschafft hat, und danach den Rest seines Lebens mit Sozialhilfe leben musste; sehr traurig! Aber es zeigt die Bandbreite, und vor allem, dass die schulische Leistung überhaupt nicht bestimmend war und ist für das spätere Leben. Gerhard hat das Abitur nicht mehr gemacht, ist ohne Abschluss abgegangen und später in der Mannheimer Pennerszene gelandet, wo ich ihn in den 70er Jahren gefunden habe und beinahe verprügelt, bis wir uns erkannt haben. Dann habe ich ihm 2 Glühwein auf dem nahen Weihnachtsmarkt spendiert und alles war gut. Aber er ist szenebedingt früh gestorben….
Ebenso vorbei waren der Biologie-Unterricht und Musik bei Hrn. Löb, über den es allerdings noch zu berichten gibt, Stichwort Landheim und Musik mit der Band. Statt Musik kam als kreatives Fach bis zum Abitur Kunst zurück. Mit unserem altbekannten Hrn. Duttenhofer; auch von dem kann ich nur Gutes berichten. Es schien überhaupt, als hätten wir bei der Zuteilung der Lehrer in diesen letzten entscheidenden Klassen das große Los gezogen. Ohne Lobhudelei – ich werde in Zukunft noch beißend Negatives zu berichten haben – diese Lehrer waren einfach toll, Punkt!
Außerhalb der Schulszene haben sich auch Dinge weiterentwickelt, wurden aber im Ergebnis beendet. Im Übergang zur 12. Klasse (UIa) war Günther Kurth sitzen geblieben. Ohne ihn und aufgrund unseres andauernden Misserfolges einen haltbaren Düsenantrieb zu konstruieren, stellten wir das Raketen-Projekt zum neuen Schuljahr ein, um uns ganz aufs Abi zu konzentrieren. Jörg, ich und Lutz saßen auch im neuen Zimmer nebeneinander, und unsere Freundschaft vertiefte sich, während sich die zu Karl-Heinz Bartmann etwas verflachte. Er war in einer anderen Klasse, hatte einen anderen Tagesrhythmus und ging mit Anette, seiner ersten Freundin; die es bei Lutz, Jörg und mir leider noch immer nicht gab. Aber in der Jugendgruppe in der Melanchthonkirche trafen wir uns immer noch; vor allem dienstags zum Tischtennis-Training. Karl-Heinz war unsere Nummer eins, Anette war in der Mannschaft und auch Wolfgang Warnecke; ich wurde höchstens als Ersatz eingesetzt und habe dann auch immer im unteren Paarkreuz gegen die auswärtigen Gegner verloren, sogar Mädchen……
In den Donnerstagsrunden sah man Karl-Heinz und Anette eher weniger, manchmal gar nicht. Hr. Böttcher, unser Jugendgruppenleiter, war inzwischen umgezogen, aber immer noch in der Neckarstadt. Aufgrund der mangelnden Resonanz der Mädchen hatte ich auch inzwischen meinen Enthusiasmus verloren. Es war nicht mehr das, als was es gestartet war; viele der Mädchen hatten inwischen auswärtige Freunde, unerfreulich! Dann passierte etwas für mich völlig Überraschendes: Pfarrer Rosenkranz lud mich zum Gespräch bei ihm, zusammen mit Hrn. Böttcher, der aufhören wollte/musste, und bot mir die Leitung der Jugendgruppe an. Ich war so perplex, dass ich mir erstmal Bedenkzeit erbeten habe.
Ich habe dann nach knapp einer Woche abgelehnt, offiziell mit der Begründung, dass ich mich aufs nahe Abitur konzentrieren müsste, was akzeptiert wurde. Für mich persönlich waren aber zwei ganz andere Gründe ausschlaggebend: wir hatten mehrfach Stress mit der Mattern-Bande – ich habe bereits vorher über die berichtet. Hr. Böttcher war Boxer und hat trotzdem mehrfach die Polizei gerufen. Davor hatte ich Angst; solchen Situationen wäre ich mit mir anvertrauten Jüngeren nicht gewachsen gewesen. Und zum zweiten wollte ich nicht mehr, weil mich die Mädchen alle genervt und nicht angesehen haben; keine wollte mit mir gehen, alle standen immer auf die „wilden Boys“, die schulisch nichts bis gar nichts geleistet haben. Sitzenbleiber waren weit interessanter als ich; dann eben nicht, macht doch, was ihr wollt. Damit ging dann im Herbst 1970 unsere Jugendgruppe zu Ende, ein Experiment in der damaligen Zeit, was beachtenswert war, zumal sogar noch mit teilweise ökumenischem Ansatz. Gescheitert ist es einmal an den Rowdies der Mattern-Bande und zum zweiten an den Mädchen der damaligen Zeit, die sich ganz offensichtlich nur den in meinen Augen Versagern an den Hals geworfen haben. Ich war und bin es heute noch – wutig. Scheiß Mädchen! Daraus sind dann die sog. emanzipierten Fauen der Gegenwart entstanden, die sich mit der Anzahl der Finger für eine geschiedene Ehe begrüßen…….
Damit waren gleich im Herbst 1970 einige Weichen gestellt und Dinge beendet; es gab Raum für neues. Das war dann für mich die Faller AMS Rennbahn, die ich mir bereits im Herbst 1969, quasi als Eigengeschenk gekauft hatte. Jetzt hatte ich auch eine Faller-Bahn und in gewisser Weise mit Karl-Heinz gleichgezogen. Aber wir kamen eigentlich gar nicht mehr dazu, miteinander zu spielen oder sonst etwas zu machen. Dennoch denke ich, zu meinem 17. Geburtstag im Dez. 1970 war er da, ebenso wie Wolfgang Warnecke und auch Rainer Gumpert mit seiner Freundin aus der Jugendgruppe. Rainer war ein Scheidungskind und lebte in der Pozzi-Str. bei seinem Vater. Er hat mir immer wieder von seiner Stereo-Anlage tolle Aufnahmen auf Cassetten gemacht, u.a. Deep Purple und Led Zeppelin. Die habe ich mir zu Hause auf meinem Loewe-Opta Cassetten-Recorder mit Kopfhörer angehört, weil die Eltern solche Musik damals noch nicht ertragen konnten. Das hat sich später geändert, ebenso wie bei Hrn. Löb. Kurz vor seinem Tod hat mein Vater in den 90ern noch meine erste CD gehört und fand sie gar nicht so schlecht……
Aber nach Weihnachten, als zum letzten Mal die Modellbahn aufgebaut wurde, hat der Vater dann beim endgültigen Abbauen ein bisschen durchgedreht. Ich musste ihn bremsen, dass er nicht alles kaputt macht und habe ziemlich viel dieser Trix-Express-Bahn gerettet und für mich und meine eventuellen Kinder gerettet. Ich kann es vorwegnehmen, das hat geklappt; manches ist heute noch vorhanden, in den 2020ern.
Zum Abschluss dieses Jahres möchte ich noch auf das im Gegensatz zu Geburtstag und Weihnachten unheimlich einsame und traurige Silvester eingehen, welches ich von jetzt an, also ab 1970, jedes Jahr thematisieren werde, bis ich 1976 meine spätere Frau kennenlernte. Zum letzten Mal werde ich das beim Eis-Silvester 1977 machen, weil es danach „normal“ und uninteressant wurde, im Sinne von darüber schreiben. Aber ab jetzt wurde es für mich zum Ausdruck eines traurigen Lebens, des Einsamseins, wie es ansonsten nur alte Menschen kennen. Der Silvestertag wurde für mich zum „Tag des gebrochenen Herzens“. Meine Eltern wurden in all den Jahren immer im Haus von der (kinderlosen) Familie Binnewies eingeladen, Frau Binnewies hatte mir ja den Ferienjob im Strebelwerk vermittelt. Wenn ich wollte, konnte ich dazu kommen. Aber ich wäre viel lieber zu einer Silvesterfete mit Gleichaltrigen, und vor allem mit einem Mädchen gegangen. Insofern war es meistens sehr traurig, und ich habe auch oft geweint, bin dann aber meistens doch noch nach unten zu den Alten gegangen. Dazwischen gab es dann doch auch Silvester mit einem Mädchen, aber meist unerfreulich. Die Abfolge war: 1970 einsam, zu Fam. Binnewies, 1971 einsam, 1972 mit Ingrid, aber unerfreulich, 1973 nach dem Lilijana-Drama einsam, 1974 wieder mit Ingrid, aber komisch (nämlich an Neujahr), 1975 mit Anita, 1976 zum ersten Mal mit Lydia, meiner späteren Frau, 1977 das unvergessliche Eis-Silvester in der Jugend-Clique und mit Lydia. Insgesamt 20 Jahre Silvester mit Lydia, von 1976 – 1996, das war dann das letzte. Und 10 Jahre danach das erste Silvester mit meiner jetzigen Frau; da haben wir jetzt auch schon 18 Jahre……
Silvester ist für mich etwas Besonderes: Strich und Kasse unter das alte Jahr und Ausblick auf das, was kommen soll. Was ja nicht immer so passiert wie erhofft.
Tod des Direktors, Uriah Heep Konzert und Band-Gründung
So richtig einen großen Ausblick gab es Silvester 1970 auf das neue Jahr 1971 nicht; vieles war um mich herum Routine geworden, dem großen Ziel Abi wurde alles andere untergeordnet. Ganz klar war es aber nach dem wilden vorangegangenen Schuljahr und dem Ende der Jugendgruppe ruhiger geworden, aber das sollte sich ändern, sogar zum Positiven. Zunächst aber sorgte eine Meldung in der Schule für einen Schock. So wild und teilweise daneben das Verhalten der 68er-Revolutionäre und auch die Schulstreiks waren, sie hatten doch einige Veränderungen gebracht. Die Allmacht und hier und da autoritäre Verhaltensweise mancher Lehrer und Direktoren wurde ein wenig eingebremst; eine sog Schulkonferenz brachte mehr Mitbestimmung in den Schulbetrieb. Dort saßen neben der Direktion und einigen Lehrern auch Eltern- und Schüler-Vertreter am Tisch.
Unser Direktor Hugo Kalbe, einst aus der DDR geflüchtet, war ja auch noch vom alten, autoritären Schrot und Korn, obwohl ich nichts Schlechtes über ihn sagen kann. Er war wenig erbaut von der Tatsache, dass jetzt auch Nicht-Lehrkräfte etwas mitzuentscheiden hatten, fügte sich aber ins Unvermeidliche. Und gerade in der ersten Zeit dieser Schulkonferenzen flogen wohl doch schon öfter mal die Fetzen. Auf einer solchen brach Hr. Kalbe am Abend des 17. Feb. 1971 mitten in der Konferenz zusammen, erlitt offenbar einen Herzinfarkt vor Aufregung und war tot. Sein Stellvertreter Hans Umstätter, den wir im letzten Jahr im alten Moll noch in Gemeinschaftskunde gehabt hatten, übernahm stellvertretend das Amt bis zum Sommer; deshalb ist auch mein Jahreszeugnis 1970/71 von ihm mit i.V. unterschrieben. Im neuen Schuljahr wurde er offiziell zum neuen Direktor ernannt.
Im Schulalltag änderte sich dadurch nichts. Inzwischen war auch in vollem Umfang Sportunterricht möglich, da die Hallen und Anlagen schon eine Weile fertiggestellt waren. Gleiches galt, sogar schon länger, für den naturwissenschaftlichen Bereich, wo wir in Physik durch Hrn. Becker und noch mehr in Chemie durch Hrn. Heinz Schmidt mit modernsten Materialien unterrichtet wurden. Wie bereits erwähnt, waren Lutz und ich Chemiehelfer geworden und nahmen im neuen Schuljahr auch an einer Chemie-AG teil. Dahinter folgte noch weiteres, aber dazu später.
Trotz des Endes der Jugendgruppe haben wir uns im losem Rahmen dort auch innerhalb unserer Clique weiter getroffen. Mir ist so in Erinnerung, dass Hr. Böttcher mit größeren Pausen doch noch ein bisschen weiter gemacht hat. Von uns Jungs waren immer Wolfgang Warnecke, Rainer Gumpert, Karl-Heinz Bartmann und ich dabei. Ein paar Mädchen auch, aber die waren fest vergeben, ich war natürlich wieder der, der allein war, obwohl auch manchmal ein einzelnes Mädchen mit dabei war. Wolfgang hatte ja eine riesige Plattensammlung, viele LPs, und war auch über die Gruppen/Bands immer auf dem neuesten Stand. Zuletzt kam auf der Linie von Deep Purple noch eine weitere Hardrock-Band aus England auf den Markt, Uriah Heep, mit dem Sänger David Byron, dem Lead Gitarristen Mick Box und dem Multi-Instrumentalisten Ken Hensley, der an der Gitarre nicht ganz Mick Box erreichte, aber toll an der Hammond-Orgel war, und zudem auch gut singen konnte. Diese Band hatte nach ihrem Erstlingswerk in 1970 im Januar 1971 ihre 2. LP herausgebracht, „Salisbury“, mit einem gleichnamigen Longsong auf der 2. Seite. Die Band kam auf ihrer Tournee im März 1971 auch nach Mannheim in die Rheingoldhalle; als Vorband war Quatermass dabei, eine 3-Mann Progrock-Band. Sehr interessant, ich empfehle, mal zu stöbern, habe selbst eine CD von ihnen. Das war mein erstes Rockkonzert; wir saßen auf mitgebrachten Decken auf dem Boden, um mich herum wurde Hasch gekifft, was mich zum „Gegenrauchen“ mit meinen ersten Zigaretten gebracht hat. Rainer Gumpert war mit seiner Freundin da, Wolfgang auch. Ich weiß gar nicht mehr, welche von seinen „100 Frauen“ er mit hatte. Er war so einer, auf den die Mädchen standen. Wir haben uns in der Coronazeit wiedergefunden und mal getroffen. Auf die vielen Freundinnen angesprochen, hatte er als alter Mann auch keine Erklärung mehr für seinen damaligen Erfolg bei den Mädchen. Beim Konzert war aber mindestens noch ein weiteres Mädchen dabei; wer sie war, weiss ich nicht mehr, aber zumindest hat sie mich mal nicht ignoriert…….
Das Konzert hat mich dann so beeindruckt und inspiriert, dass ich am nächsten Tag spontan beschlossen habe, eine eigene Band zu gründen. Wie bekannt, hatte ich ja schon eine Weile ein Faible für die Gitarre, jetzt war die Zeit gekommen, meine Ideen endlich mal umzusetzen. Das hat natürlich mit ganz kleinen Brötchen begonnen, aber heute blicke ich auf einige eigene CDs und Songs zurück und habe einen aktuellen Song im Internet in den Streaming-Diensten stehen. Also, ich kann vorweg nehmen, es ist etwas dabei herumgekommen, heraus allerdings weniger. Aber die Musik, die Band, war auch so eine Art Ersatzbeschäftigung mangels Freundin. Und so ganz nebenbei sind Jungs, die Musik machen, für Mädchen auch interessant. Das hat sich dann tatsächlich, wenn auch mit Verzögerung, bei Ingrid Hrstka bestätigt, dauert aber noch ein Stück, denn aller Anfang ist bekanntlich schwer. Und schließlich hat das auch zu einer ganz persönlichen Story mit Ken Hensley geführt, der allerdings am 04. Nov. 2020 bereits verstorben ist.
Also, ich hatte meinen Entschluss gefasst, wie aber in die Realität umsetzen? Schon damals, in meiner Jugend, hatte ich gelernt, für alles Größere zunächst mal einen Plan zu machen, aber nicht dogmatisch daran zu hängen, wenn Dinge anders liefen; also flexibel und anpassend zu reagieren. Eine Vorgehensweise, die mir später in vielen Lebenssituationen geholfen hat, meine Ziele zu erreichen; smart, nicht verbissen oder bockig. Mein smartes Arbeiten und Vorgehen haben aber oft Konkurrenten neidisch gemacht. Ich hatte dann zwar meine Ziele erreicht oder ein Problem gelöst, aber das gefiel manchen nicht, und ich hatte sie dann als Gegner. Soweit mal ein kurzer Ausflug in mein späteres, konfliktreiches Leben; die Band bzw. das Thema Musik bildete da keine Ausnahme.
Ich setzte mich also hin und skizzierte auf einem Blatt Papier, wie die Band zunächst mal besetzt werden sollte. Wer kam in Frage, hatte Interesse, vielleicht schon Grundfähigkeiten und für welches Instrument? Natürlich hatten wir im Freundeskreis auch schon über so etwas gesprochen, so dass es nicht ganz aus der Luft gegriffen war. Trotzdem ging der erste Ansatz teilweise schon ganz schön in die Hosen, aber hinterher ist man immer schlauer, und Papier ist zunächst Mal geduldig. Meine Vorstellung war:
- Jörg Dubiel am Schlagzeug
- Wolfgang Warnecke am Bass
- Karl-Heinz Bartmann an der Orgel
- Lutz Knakrügge und ich an den Gitarren
Einen expliziten Sänger hatte ich nicht vorgesehen, wir sollten uns in den Gesang teilen; was später so nicht ganz durchzuhalten war. Natürlich hatte ich parallel mit allen gesprochen, jeder war einverstanden und begeistert von der Idee (im jugendlichen Überschwang…). Aber wir brauchten Instrumente und einen Proberaum, nicht zu vergessen Verstärker. Und last not least einen Bandnamen. Ganz nebenbei auch Songs und Fähigkeiten an den Instrumenten. Letzteres ging zunächst fast unter. Das übliche Organisationsproblem eines Anfangs, wie ich später lernte.
Lokale Vorbilder zum Nacheifern gab es genug, die waren teilweise schon richtig gut. Dazu ein Rückblick auf den Faschings-Cola-Ball im Februar 1971 im Rosengarten. Zunächst kamen wir nicht rein; über einen verbotenen Hintereingang und ein eingeworfenes Fenster gelang es uns dann doch noch. Im damals großen Saal, dem Musensaal, spielte zunächst eine Jazz-Rock-Formation aus Ludwigshafen Seldom Bleed, von vielen, denen deren Musik nicht gefiel, in „Selten Blöd“ umbenannt. Nach einer Pause aber kam 2066 And Then; die hatten gerade eine LP gemacht oder in Vorbereitung, und waren richtig gut, mit der Rockröhre Geff Harrison am Mikro, zwei Keybordern (!), dem vorgenannten Dieter Bauer am Bass, Gagey Mrozeck an der Gitarre und Konstantin Bommarius an den Drums. Einige der Mitspieler fanden sich später wieder in der erfolgreichsten Mannheimer Krautrock-Band Kin Ping Meh (Harrison, Mrozeck) oder sogar in der Begleitband von Herbert Grönemeyer (Mrozeck). Im anderen, kleinen Saal, dem Stamitz-Saal, spielten abwechselnd Ede Tylkowskis Cock (3 Mann, Rock, Jimi Hendrix-Besetzung) und Peter Seilers Tritonus (3 Mann, Progrock, ELP-Besetzung). Ich habe einige dieser lokalen Rockgrößen im späteren Leben freundschaftlich wieder getroffen. Das war das beste lokale Rockkonzert, das ich je erlebt habe. Die Bodenständigkeit, Originalität und Kreativität dieser Zeit in den frühen 70er-Jahren kam nie mehr zurück; besser spielen ist hier nicht das Thema oder der Fokus.
Die Trauben hingen für uns also hoch, und der Anfang war tierisch schwer. Das war eine Phase, wo mich endlich mal das Fehlen eines weiblichen Wesens in meinem Leben nicht gestört hat; jetzt hatte ich wichtigeres zu tun! Jörg und Karl-Heinz hatten die betuchteren Familien, Schlagzeug und vor allem Orgel, wenn auch gebraucht, hatten damals schon einen satten Preis. Gitarren und Bass waren hingegen schon eher erschwinglich. Jörg hatte relativ schnell ein Schlagzeug, ich und auch Lutz eine Gitarre; keine Super-Modelle, preiswerte Einsteiger-Modelle, aber immerhin. Meine Gitarre war eine Framus aus dem Musikhaus Ehret für ca. 280 DM, aber zunächst musste ich ja mal spielen lernen, was üblicherweise mit Akkorden und blutigen Fingern beginnt. Deshalb haben wir selbst ja gefrotzelt, ob wir uns Blutige Finger nennen wollen. In der Klasse wurde eher anders geunkt, nämlich mit Joe Braddle and the Congo Brothers, was von Georg Krauß aufgebracht wurde.
Es wurde Sommer, und wir hatten immer noch keinen Proberaum, keinen Namen und weder Bassist (Wolfgang) noch Organist (Karl-Heinz). Es drohte ein „theoretisches Projekt“ zu werden. Dann half uns Wolfgang bzw. dessen Mutter, die im Haus bei Gödecke gearbeitet hat. Im Keller unterhalb des Supermarktes bekamen wir einen Kellerraum, wo wir aufgrund der Lage niemand gestört haben, wenn wir am Samstag Nachmittag proben würden; was wir dann auch eingehalten haben; es gab nie Ärger. Unsere „Verstärker“ waren alte Röhrenradios, die einen sehr guten Klang hatten, aber nicht sehr laut waren. Jörg baute dort in dem Kellerraum, mitten zwischen Kohlen in anderen Kellern, sein Schlagzeug auf, Lutz und ich unsere Radios für die Gitarren. Wolfgang kam immer dazu und vorbei, hat aber letztendlich nie einen Bass gekauft und einen Ton darauf gespielt. Aber er hat uns immer geholfen, der „Frauenheld“, deshalb waren wir auch nie böse. Karl-Heinz hat sich dann leise ohne Orgel verabschiedet, auch er ging lieber andere Wege. Beide hatten halt ihre Freundinnen, das war offensichtlich wichtiger. Dann hat Lutz noch unseren Namen „aus dem Kaugummi-Automat gezogen“, nämlich ein Bild namens Walbra. Das war schließlich bis 2002, also 30 Jahre lang, unser Bandname; der Joe Braddle kam erst in den 2020ern zurück. Und das war‘s dann mit der Band erst Mal bis zum Sommer, weiter geht’s im neuen Schuljahr ab September 1971.
Ruhestand von Vater, BASF-Praktikum, Landheim und Sommer-Klassenparty
Aber vorher noch 4 andere Themen. Im April war Vater 65 geworden und ging somit Ende des Monats in den Ruhestand. Er hatte zuletzt im Lager gearbeitet, hatte nach seiner langen Krankheit seinen Posten als Werkmeister mit einigen Unterstellungen verloren. Er empfand das aber nicht als Degradierung, sein Arbeitsalltag sei etwas leichter geworden, er hatte nicht mehr den Termindruck der Kfz-Zulieferungs-Fertigung. Und er hat sich auf seine alten Tage noch mit etwas interessantem Neuen beschäftigt, nämlich der EDV-gestützten Lagerverwaltung, wie das damals hieß. Diese Anfänge der Computertechnik stützten sich noch auf Lochkarten, IBM war der Riese in der Branche, die Computer selbst auch noch Riesen-Ungetüme mit nach heutiger Sicht lächerlicher Rechenleistung. Meine Anfänge auf diesem Gebiet an Schule und Uni waren auch noch Lochkarten-gestützt.
Jetzt war Vater also im wohlverdienten Ruhestand und hat sich in die Haushaltsarbeit eingebracht, mit gekocht und eingekauft. Er hat dann in den Folgejahren auch mir viel Praktisches beigebracht, es waren die Jahre, in denen ich Vater näher kam, unsere früheren Generationskonflikte verschwanden nach und nach. Die Eltern hatten jetzt auch einen anderen Tagesrhythmus. Jetzt war ich der Frühaufsteher, der etwa 10 nach 7 das Haus verlassen musste für den langen Weg mit dem Bus ins Niederfeld. Mutter hat auch nicht mehr wie früher auf mich mit dem Mittagessen gewartet, sondern die Eltern haben immer etwa halb 12 bis 12 Uhr zusammen gegessen und meine Portion aufgehoben, die dann für mich warm gemacht wurde, wenn ich zwischen ein und zwei Uhr nach Hause gekommen bin. Die Eltern hatten einen echten „Ruhestand“, nicht so eine Überlebens-Hektik wie heute, und haben das nach einem langen entbehrungsreichen Leben auch genossen. Zumindest Vater hatte ja 2 Weltkriege mitgemacht, Mutter nur den zweiten. Beide hatten dort ihre jeweiligen Partner verloren. So etwas prägt, macht demütig; etwas, was die heutige verwöhnte Gesellschaft nicht mehr kennt. Mit Politik hatten die Menschen damals auch wenig am Hut, sie ließen „die da oben“ einfach regieren. Die Politik griff aber auch nicht so vehement wie heute in das private Leben ein, Beispiel Heizungsgesetz. Niemand hat einem vorgeschrieben, welche Geräte oder Öfen man zu benutzen hat. Das war bei uns Gas und Kohle, wobei Anfang der 70er Jahre die Küche schon vollständig auf Gas umgestellt war, Kochherd und Heizofen. Das Gas war inzwischen schon kein Stadtgas mehr, sondern importiertes Erdgas.
Was wir allerdings sehr stark spürten, war das deutlich geringere Einkommen durch die Rente. Vater war damals zu Beginn der Rente ein armer Rentner mit ca. 1.200 DM. Als er gestorben ist, hat er allerdings mit 3.200 DM eine Überflussrente gehabt; so stark sind damals die Renten gestiegen, die Inflation war bei weitem nicht so hoch. Allerdings haben damals Rentner auch keine Steuern und Krankenkassenbeiträge bezahlt. Durch das geringere Einkommen und eine Gesetzes-Änderung war ab 01. Sep. 1971 auf einmal auch ich BAföG berechtigt und bekam damals eine kleine Summe, ich glaube in der Größenordnung von 150 DM, die die Eltern mir als Taschengeld überließen. Mit diesem Geld habe ich dann auch meine bescheidene Erstausrüstung in der Musik finanziert.
Ich hatte ja bereits erwähnt, dass Lutz und ich mit Beginn des praktischen Unterrichts in Chemie etwa ab März 1970 in den großzügigen Räumlichkeiten des Naturwissenschaftlichen Baues als Chemiehelfer aktiv waren. Das bedeutete, die Pause vor dem Chemieuntericht war weg, und wir haben mit Hrn. Schmidt die Versuche für die folgende Unterrichtsstunde vorbereitet. Unser sehr gutes Grundwissen kam uns dabei zu Hilfe, Hr. Schmidt hat sich mehrfach lobend über uns geäußert und uns eine 1 in Mitarbeit gegeben. Zusätzlich wollte er uns auch fördern und hat ein BASF-Schülerstipendium der BASF für uns erwirkt. Das beinhaltete 3 Jahre lang den Bezug der Zeitschrift „Chemie in unserer Zeit“, welches von der BASF bezahlt wurde, zusammen mit Peter Hettinger, eine Klassenstufe unter uns, der auch sehr begabt in Chemie war. Zu unserer Überraschung gab es aber noch ein weiteres Highlight, nämlich ein Schülerpraktikum im Ausbildungslabor der BASF im Frühjahr 1971. Und seit dem neuen Schuljahr waren Lutz und ich auch Teil der Chemie-AG an einem Nachmittag, wo wir zusammen mit Schülern auch aus anderen Klassen selbst praktische Versuche gemacht haben. Das war sehr interessant und aufregend, insbesondere die Versuche zu Flammenfärbung und Spektralanalyse.
Im BASF-Praktikum, zu dem wir mit der Staßenbahn nach Ludwigshafen fuhren, ging es um Chromatographie, Dünnschicht-Chromatographie und Gas-Chromatographie, ein Gebiet der chemischen Analytik, die später zu meinem Beruf werden sollte. Was ich selbstverständlich zu diesem Zeitpunkt noch nicht wusste. Und auch Peter Hettinger sollte mir später noch zweimal begegnen: einmal im Studium in der Prüfungsvorbereitung und dann noch viel später mit der vorgenannten Jutta Brenzinger als seiner Frau und Kind auf der Mannheimer Mess‘. Er war zu diesem Zeitpunkt als einziger von uns bereits als Chemiker bei der BASF angestellt……
Ja, und es gab noch ein weiteres Highlight in diesem Schuljahr, nämlich das Landheim in Südtirol, zusammen mit der Klasse b) (Hr. Kautz) und der c) (Hr.Grassman). Bei uns ging Hr. Klautke mit, nicht Fr. Keuck, die eigentliche Klassenlehrerin. Das Wechselspiel hat also auch hier hervorragend funktioniert; das möchte ich heute mal sehen! Und als 4. Lehrer und gleichzeitig Südtirol-Spezialist ging Hr. Löb mit, der uns allen ja auch noch bekannt war. Es war eine tolle Truppe, sowohl der Lehrer als auch der Schüler, dazu tolles Wetter in überwältigender Landschaft; mehr geht nicht! War die vorige Klasse wohl der absolute Tiefpunkt meiner Schul-Laufbahn, so war dieses nachfolgende, vorletzte Jahr wahrscheinlich der positive Höhepunkt.
Natürlich gab es so ein paar Punkte, gerade in diesem Alter; die meisten von uns waren zwischen 17 und 19 Jahre alt. Da war einmal das Interesse an Mädchen – in der Nähe von uns in Eppan gabe es eine Mädchengruppe im Landheim. Und zum zweiten den Alkohol in Form von Südtiroler Rotwein (Kalterer See). Die Lehrer-Crew gab uns den Tip, wenn wir trinken wollten, unser Limit einmal auszuprobieren, in Folge dann aber einzuhalten. Auch das hat funktioniert, und auch hier möchte ich mal in die aktuelle Zeit Mitte der 2020er-Jahre blenden, was da aus diesem Thema gemacht würde. Bei einer in allen Altersgruppen unfähig gewordenen Gesellschaft, puh……
Ich will mir jetzt ersparen, alle unsere Ausflüge im Detail wiederzugeben, aber es gab einige Highlights. Unser Busfahrer stand immer zur Verfügung und hat uns durch die engen Bergstrassen der Dolomiten kutschiert, auch ihm großen Dank. Da waren Ausflüge nach Meran und Schloss Tirol, zum Mendelpass mit seiner aufregenden Standseilbahn, nach Verona und zum Gardasee, sowie an der Marmolada vorbei zum Langkofel. Dort fuhren wir mit der Seilbahn hoch in die Langkofel-Scharte und stiegen auf der anderen Seite hinab. Das war sehr steil, und ich hatte Angst, Harald Lechner und ein paar andere auch. Wir bildeten die Nachhut und wurden von Hrn. Grassmann ganz lieb betreut. Auch hier, danke! Die anschließende Wanderung über die Seisser Alm nach St. Ulrich dauerte ca. 5 Stunden (!) und war tierisch anstrengend. Vorbei am Plattkofel fragte ich mich, ob man den an seiner schrägen Seite relativ einfach besteigen könnte; die Frage bleibt bis heute unbeantwortet. In St. Ulrich im Grödnertal – ich glaube, wir sind noch mit der Seilbahn nach unten gefahren – wartete der Bus. Wir waren hundemüde.
Wie schon erwähnt, fuhr neben den Klassenlehrern als 4. Lehrer auch Hr. Löb mit, der Musiklehrer. Er galt im Moll als der Südtirol-Experte schlechthin und wurde seinem Ruf auch gerecht. Obwohl zumindest unsere Klasse keinen Musikunterricht mehr hatte, kam ich an einem Abend mit einem musikalischen Thema auf ihn zu, dem er sich auch bereitwillig öffnete. Damals war die große Zeit der Cassetten-Recorder, wir hatten tragbare Geräte mit, aber auch der Bus hatte einen, und der Busfahrer erlaubte uns, während der Fahrten unsere Cassetten zu spielen. Wir konnten uns auch immer einigen, und entsprechend erklangen die Pop- und Rock-Hits der damaligen Zeit. Ich wollte aber von Hrn. Löb etwas anderes, viel Schwierigeres, komplex im Aufbau, sehr lang, im Sinfonieformat in 3 Sätzen, aber modern. Es handelte sich um das „Concerto for Group and Orchestra“ von Deep Purple, von deren Keyboarder Jon Lord geschrieben, der auch eine Klassik-Ausbildung hatte. Ich wollte den Fachkommentar von Hrn. Löb dazu haben, und er bat mich in das Zimmer der Lehrer und hat sich tatsächlich eine Stunde Zeit dafür genommen. Es war für ihn neu und überraschend; er hatte es vorher noch nicht gehört. Seine Äußerungen waren aber für mich ein wenig enttäuschend, er hat zuviel auf die reine Klassik referiert und gesagt, es wäre vieles „abgeschrieben“ und nicht neu. Andererseits war er aber positiv überrascht, dass eine Rockgruppe so etwas gemacht hatte; es war ja zu dem Zeitpunkt schon fast 2 Jahre her, dass es in der Royal Albert Hall in London aufgeführt wurde. Und dieser Abend war nach meinem Eindruck auch eine Wende in der strengen Musikausrichtung von Hrn. Löb, dem ich hohe Fachkompetenz zuschrieb. Er begann, sich für die moderne Musik zu interessieren und sogar zu begeistern. Später, in unserer Zeit mit dem Proberaum im Moll, wurde er sogar ein Fan von uns und lobte unsere Einstellung. Insofern habe ich vielleicht sogar bei einem Lehrer etwas bewirkt. Wir haben während des Landheim-Aufenthaltes noch ein bis zwei Mal darüber geredet. Leider fehlt mir der Jahresbericht von 1971, so dass ich nicht weiß, ob es einen Bericht über unseren Landheim-Aufenthalt gab. Zudem machten ein paar Leute in diesem Jahr Abitur, die ich zwar nicht kannte, aber dann später an der Uni im Chemie-Studium traf (Fritz Lang, Wolfgang Schäfer).
Das Schuljahr war dann noch literarisch hochinteressant und klang musikalisch aus. Im Deutschunterricht waren zu Beginn der Oberstufe die Klassiker von Schiller, Lessing und natürlich Goethes „Faust“ abgehandelt worden. In der 12. Klasse stand anscheinend moderne Literatur auf dem Lehrplan; aber das wurde speziell in unserer Kalsse dann sehr umfassend, beinahe episch, woran wir auch selbst „schuld“ waren, und Hr. Berger ging darauf ein. Man hatte sogar den Eindruck, die ausufernden Diskussionen und Forderungen nach immer neuer Lektüre machten im selbst Spaß; ich denke, das war auch so. Es begann zunächst mit Bertolt Brecht’s „Leben des Galilei“, „Andorra“ von Max Frisch und den „Physikern“ von Friedrich Dürrenmatt. Welches von den folgenden Literatur-Werken wirklich auf dem Lehrplan stand, und was von uns verursacht wurde, vermag ich nicht mehr zu sagen, aber es war hochinteressant und viel interessanter als „Faust“, wenngleich uns letzterer im Abitur zumindest teilweise einholen sollte. Ich denke, zumindest der Ausflug zu den Kernphysikern („Oppenheimer“, „Heller als 1000 Sonnen) war von unserer Klasse verursacht worden und eine kleine Abweichung vom Lehrplan, die der moderne und flexible Deutschlehrer Berger einfach genutzt hat, um die Lernziele trotzdem zu erreichen, Chapeau! In dem Zusammenhang hatte ich auch ein bedeutungsvolles Gespräch mit ihm über irgendeine Opposition von mir – ich weiß nicht mehr, um was es ging – ob ich ihm da zu nahe getreten sei. Seine Antwort war überraschend („wer etwas leistet, darf sich was leisten“) und freute mich, stellte sich aber im späteren Leben als unwahr heraus; dort wurde mir alles, besonders von den zahlreichen Neidern, ins Negative gedreht und dazu benutzt den „smarten Erfolgs-Streber“ in die Grenzen zu weisen….
Und da jetzt die Sport-Außenanlagen des neuen Moll im Schuljahr 1970/71 auch fertig waren, konnten wir nach einiger Zeit auch wieder an den Bundesjugendspielen teilnehmen. Kugelstoßen und Weitsprung konnten wir in den Außenanlagen des Moll machen, Hochsprung in der Halle, wobei wir auch den neuen Fossbury Flop Sprungstil trainierten. Einmal bin ich dabei allerding blöd abgekommen und auf der anderen Seite der Latte weitgehend neben dem Mattenstapel gelandet, was bei Hrn. Grassmann sofort Panik ausgelöst hat. Ist aber gut gegangen. Einmal bin ich im anschließenden Winter beim Training fürs Sport-Abi auch kopfüber vom Barren gefallen, hätte tot sein können (Genickbruch), ging aber auch gut. Auch hier Panik bei allen Anwesenden; ich war da manchmal etwas ungeschickt. Aber zurück zur Leichtathletik und den Bundesjugendspielen. Den 100m-Lauf haben wir auf einem nahen Sportplatz auf dem Almenhof gemacht. Dorthin kehrten wir auch ziemlich zum Ende des Schuljahres zurück, um einen 1000m-Lauf (Mittelstrecke) zu machen. Über die 100m, Weitsprung und 1000m trat ich auch beim Sportfest der Schule im Rhein-Neckar-Stadion an. Die besten Chancen hatte ich über 100m, wo ich knapp an einer Medaille vorbei schrammte, weil ich halt keine Spikes hatte. Damit hätte ich vielleicht sogar um den Sieg mitlaufen können. Aber es war halt nicht; wie so oft in meinem Leben, damals, danach und auch heute noch….
Der 1000m-Lauf wurde zu einem Desaster, weil unser etwas „besonderer“ Mitschüler Klaus-Dieter Tietz viel zu schnell angegangen ist. Da hat alles Brüllen von Hrn. Grassman nicht geholfen, er ging ab wie eine Rakete und war nach 600m raus. Wir anderen machten langsamer, wurden aber total vom „richtigen“ Tempo durch diese „Raserei“ abgebracht. Nur Lutz ging einigermassen mit und kam womöglich sogar als erster ins Ziel, musste sich dort aber sofort übergeben. Ob seine Zeit gut genug war, weiß ich nicht mehr. Hr. Grassmann stellte anschließend Tietz mit einer Wutrede in den Senkel und konstatierte, dass er uns allen die Zeit kaputt gemacht hätte, wir deswegen im Vierkampf zu schlecht waren. Er hat uns dann alle nur mit dem Dreikampf eingereicht und so getan, als wäre der 1000m-Lauf nicht möglich gewesen. So hat es dann doch noch für mich zu einer Siegerurkunde gereicht.
Das Schuljahr endete, wie könnte es anders sein, mit dem Doppelthema Musik und Mädchen. Eine Gruppe um Georg Krauß und Peter Wolfshörndl organisierte in Räumlichkeiten der evangelischen Kirche in der Gartenstadt eine Klassenparty. Man sieht also auch hier, vergleichbar mit meiner inzwischen schon aufgelösten Jugendgruppe, die Bemühungen der Kirche damals um den Nachwuchs. Aber das war wie alles andere auch eine ganz „zivile“ Jugendparty, ohne christliche Botschaften. Die Botschaft war Spaß, Tanz und musikalisch untermaltes Beisammensein, und alle kamen, ich glaube außer Tietz. Die meisten in dem Alter (um die 18 oder 19 Jahre alt) mit ihren Freundinnen. Nur ich war natürlich wieder allein, und der Zorn darüber wuchs, wie man ja heute noch, 50 Jahre später, meinen Zeilen über die deutschen Mädchen und Frauen entnehmen kann. Aber ich hatte wenigstens eine schöne Aufgabe, die mich von meinem Alleinsein ablenkte: ich war der DJ und legte zusammen mit Wolfgang Warnecke die Platten auf. Der war nämlich auf meinen Wunsch hin mit eingeladen worden, weil er eine enorme Plattensammlung und überraschenderweise zu der Zeit mal keine Freundin hatte, was selten genug vorkam. Sogar Jörg, eher ein stiller Zeitgenosse, tauchte mit einem Mädchen auf, wie sich herausstellte, seine Tanzpartnerin aus der Tanzstunde. Die meisten aus der Klasse hatten inzwischen so eine Tanzstunde absolviert, außer Lutz und mir. Bei mir fehlte wieder einmal – nätürlich – dazu das Geld. Soviel ich noch weiß, hatten wir Getränke, aber kein Essen oder Imbiss. Ich machte also zusammen mit Wolfgang die Musik, und wir konnten die Klasse ganz schön in Schwung bringen und manchmal auch überraschen, z.B. mit Hits, die keiner kannte, die aber trotzdem überzeugen konnten. Zwei dieser von uns gespielten „verlorenen“ oder „vergessenen“ Hits waren „St. Louis“, ein Easy Beats Cover von Warhorse, und „Waitin‘ for the Wind“ von Spooky Tooth. Am Montag nach der Party wurde ich von Peter Keller, unserem Klassensprecher, Georg Krauß, Peter Wolfshörndl und anderen lobend auf unsere DJ-Arbeit und interessante Musik angesprochen; das tat dann wenigstens auch mal gut, während ja unsere eigene Musik als Walbra noch ziemlich hinkte.
Das Zeugnis war dann wieder erstaunlich gut, die Delle der 11. Klasse ausgebügelt. Danach folgte in den großen Ferien noch mein erstes Arbeits-Highlight, während ich schon zum auslaufenden Schuljahr so langsam mein Interesse an einem Mädchen der mittleren Klassen entdeckte. Lilijana Bjelajac war dann, wie sich später herausstellte, trotz 4 Klassen tiefer gar nicht so jung, und zudem keine Deutsche, sondern Serbin. Damit begann, was sich dann in meinem Leben weiter herauskristallisieren sollte, meine Hinwendung zu den Osteuropäerinnen. Auch nicht immer erfolgreich, manchmal dramatisch, aber in ihrer Art ganz anders, viel mehr zu mir passend, als die unterkühlten, abweisenden deutschen Mädchen und Frauen…….
Fortsetzung folgt
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